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Der Abgesang des Hypes

■ Das „Festival des deutschen Schlagers“ ist die erste große Wochenendshow von Radio Bremen seit über 18 Jahren / Alle alten Schlager-Größen sind mit dabei

Ist das der Abgesang? Gerade noch erklärte Guildo Horn, er sei angetreten um „den deutschen Schlager zu retten“, da gibt er der erstarkenden Fan-Gemeinde darselbst den Todesstoß. Denn was eben noch poppig „retro“ war, ab jetzt ist es aus mit dem selbstironischen Blick nach vorne.

Zusammen mit Fossilien wie Costa Cordalis, Rex Gildo, den Flippers, Karel Gott oder Roland Kaiser gibt sich der Meister heute abend sein erstes großes Fernseh-Stelldichein nach der niederschmetternden Niederlage von Birmingham. Das „Festival des deutschen Schlagers“ wurde im Hemelinger Aladin abgedreht, es ist die erste Radio Bremen Wochenendshow zur prime time seit über achtzehn Jahren: 105 lange Minuten beginnen am samstäglichen Abend um 20.15 Uhr in der ARD. Auch Vicky Leandros, Tony Marshall und Marianne Rosenberg werden uns mit eben jenen Liedern beglücken, die sie bekannt machten und die heute ihr letztes Kapital bei Gage-Verhandlungen sind. Das Sahnehäubchen der Überdosis: durch die Show führen Roberto Blanco und Victoria Herrmann.

Der anarchische Sozialpädagoge Guildo Horn wird die Geister, die er rief, nun nicht mehr los: wer erinnert sich nicht an die Titelgeschichte der BILD-Zeitung einen Tag vor der Grand Prix-Ausscheidung in Bremen, als der Meister sich versehentlich Rheuma-Salbe ins Auge geschmiert haben soll? Während der Show jedenfalls wird die BILD ihr Logo heute gut in Szene setzen können und die CD zum Event anpreisen. Und Guildo schaufelt sich und seiner Branche nun das Grab. Denn das ist nicht mehr witzig.

Tatsächlich, so scheint es: mit dem neuen Schlager-hype läßt sich für die Großen und Alten der Branche kaum Geld verdienen. Denn die jugendli-che Bewegung zur Rettung des deutschen Liedguts der 70er Jahre ist event-bezogen. Die Gemeinde trifft sich bei Dieter-Thomas Kuhn Konzerten, in Schlaghose und Blümchen-T-Shirt. Die Gemeinde summt auch mit, wenn die Gassenhauer im Radio gespielt werden. Die Gemeinde integriert beim Schunkeln Teenie, APO und Opa. Aber die alten Pressungen der Zöglinge von Dieter Thomas Heck gehen deshalb noch längst nicht wieder über den Tresen.

Radio Bremen jedenfalls ist glücklich. Innerhalb von sechs Wochen habe man die Sendung organisiert, berichtet RB-Sprecher Glöckner. Weil die anderen, größeren ARD-Sendeanstalten das so schnell nicht gebacken bekommen hätten, habe der kleinste Sender den Zuschlag für das 750.000 Mark-Projekt bekommen. Vielleicht auch, weil RB-Fernsehdirektor Rüdiger Hoffmann als ARD-Unterhaltungskoordinator an der Quelle sitzt. Mit der Schlager-Show will die ARD dem Privatsender RTL Paroli bieten: zur gleichen Sendezeit buhlt am heutigen Samstag auch Günter Jauch mit einer neuen Lotto-Show und viermal größerem Etat um die Gunst der Quote.

Einen Funken Selbstachtung scheint sich nur „Aber bitte mit Sahne“ Udo Jürgens bewahrt zu haben. Als einziger der Großen taucht er nicht auf der Gästeliste auf. Gnadenlos werden die auftretenden Altstars auf ihre verstaubten Quotenhits festgenagelt. Die künstlerische Arbeit der stillen letzten zwei Jahrzehnte – ab in den Orkus. Neue Titel stören nur. Und mittenmang der Meister, unser Guildo. Sicher, das Äußere des Meisters fügt sich nahtlos in die Optik der anderen untergehenden Sterne ein. Aber die anderen hatten eine Jugend. Der Nachspann für den erfolgreichsten Sozialpädagogen aller Zeiten ist eingeläutet. Schon ist Guildo Geschichte wie die anderen.

Eines unterscheidet den angeblich 35jährigen von seinen KollegInnen: Eher unwahrscheinlich, daß man den Mann mit dem jetzt schon schütteren Haar in zwanzig Jahren in einer Umland-Disko seinen großen Hit spielen sehen wird. Oder bei einem Festival des deutschen Schlagers.

In postmoderner Würde schmettert ohnehin nur noch Dieter Thomas Kuhn die Schlager der anderen in sein Brusthaartoupet. „Ich bin nicht scheiße“ beschwert er sich bei einem Zwischenrufer und biegt die Verhältnisse zurecht. „Meine Musik ist scheiße.“ Die Erkenntnis macht ihn groß. Christoph Dowe

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