: Nukem bestreitet Verstrahlung
Die mutmaßliche Explosion in Hanaus Atomfabrik ist verjährt. Doch die Staatsanwaltschaft ermittelt offenbar noch wegen anderer Vergehen ■ Aus Hanau Klaus-Peter Klingelschmitt
Hanau (taz) – Nur eines wollten die Manager der Hanauer Atomfabrik Nukem gestern eingestehen: Daß es 1987 zu „sehr viel Kontaminierungen“ von Mitarbeitern gekommen ist. Durch einen Unfall in der Schrott-Dekontaminierungsanlage sei die enorme Menge von 200 Milligramm hochgiftigem Plutonium freigesetzt worden sein. Die Gutachter der Hanauer Staatsanwaltschaft werten diesen Störfall allerdings als „Erfindung“, mit dem der eigentliche „Explosionsunfall“ vom Januar vertuscht werden sollte.
Ab Februar 1987, so heißt es in ihrem neuesten Gutachten, das der taz vorliegt, sei es zu schweren Unregelmäßigkeiten bei der Buchführung der Strahlendosis der Mitarbeiter gekommen. Damit sollte, so das Gutachten, die Verstrahlung von 300 Mitarbeitern bei einer Explosion in der Hanauer Atomfabrik vertuscht werden. Geschäftsführer Erwin Wehner gab gestern überraschend zu, spätestens seit dem Erörterungstermin zum Nukem-Rückbau im Dezember 1997 von den Vorwürfen gewußt zu haben. Die vorliegenden Gutachten habe das Unternehmen aber noch immer nicht einsehen können. Dennoch dementierten die Geschäftsführer weiter energisch alle Vorwürfe.
Gegenüber der taz bestätigte Dr. Eberhard Pitt vom Fachbereich Physik der Universität Gießen, einer der vier Gutachter für die Staatsanwaltschaft in Hanau, die Richtigkeit des der taz vorliegenden neuen Gutachtens zum „Explosionsunfall bei Nukem vom 20. Januar 1987“. Zum Inhalt wollte sich Pitt allerdings nicht äußern, denn auskunftspflichtig seien er und seine drei Kollegen „nur gegenüber der Staatsanwaltschaft“.
Verwirrung löste gestern die offizielle Auskunft des Hanauer Oberstaatsanwaltes Wolfgang Popp aus, wonach es „keinen Anlaß für Ermittlungen“ gebe. Das Problem: Wenn es wirklich eine Explosion gegeben hat, ist sie nach zehn Jahren bereits verjährt. Die Aktualität des Gutachtens (April 1998) bestätigt aber, was inoffiziell zu erfahren war: Demnach war das Gutachten zum vermuteten Explosionsereignis nur ein Zufallstreffer einer anderen Ermittlungssache gegen Nukem, die noch immer läuft.
Vor einem halben Jahr hatte zum Beispiel der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) Strafanzeige gegen Nukem erstattet „wegen des Verdachts auf Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen der Strahlenschutzverordnung“ beziehungsweise gegen das Atomgesetz. Hintergrund der Strafanzeige des BBU ist der Krebstod des Nukem-Mitarbeiters Franz Ferstel. Posthum hatte die zuständige Berufsgenossenschaft die Karzinome von Ferstl als Berufskrankheit anerkannt. Und die Nukem-Manager mußten einräumen, daß der 1991 Verstorbene in den 70er Jahren mit dem 28fachen der Lebensstrahlendosis kontaminiert worden war.
Sollte die Staatsanwaltschaft in Hanau nach dieser Strafanzeige tatsächlich kein Ermittlungsverfahren einleiten, so BBU-Vorstandsmitglied Eduard Bernhard, werde sich seine Organisation an den hessischen Generalstaatsanwalt wenden. Bernhard forderte das hessische Umweltministerium auf, zu dem gesamten Nukem- Komplex eine Sonderarbeitsgruppe einzurichten. Eine Stellungnahme dazu war in Wiesbaden gestern nicht zu erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen