: 600.000 Steuerhinterzieher
Nun durchkämmen Fahnder auch die Deutsche Bank nach Hinweisen auf Steuerbetrüger samt Beihelfern. Die Fahnder sind einer Massenbewegung auf der Spur ■ Von Werner Rügemer
Das Rätsel, warum die größte deutsche Bank jahrelang verschont wurde, bleibt ungelöst. Jedenfalls aber ordnete am 19. Mai 1998 das Amtsgericht Frankfurt die lang erwartete Durchsuchung der Deutschen Bank an, am vergangenen Montag setzten sich 300 Fahnder in Bewegung: Zentrale in Frankfurt am Main, Rechenzentrum in Eschborn, Filialen in Düsseldorf, Kassel, Freiburg. Die Aktion wird Wochen dauern. Erstmals geht es gezielt nicht nur um Steuerhinterziehung über Luxemburg, sondern auch über die Schweiz.
Der Verdacht: Die Deutsche Bank hat dieselben Methoden angewandt wie andere Banken auch. Die Kunden wurden durch Nummernkonten oder Tarnnamen anonymisiert. Die Gelder wurden über zentrale Konten aus den Filialen zu den ausländischen Banktöchtern etwa in Luxemburg überwiesen. Ein paralleles Meldesystem ermöglichte die Zuordnung von Nummer und Tarnnamen zum Kontoeigentümer. Manche rätseln, warum die Systeme bei Sparkassen, Privat-, Landes- und Genossenschaftsbanken identisch sind, Unterschiede liegen nur im Detail: Die einen bevorzugen Märchennamen („Sterntaler“), die anderen Politikernamen („Helmut Kohl“). Die einfachste Erklärung wäre, daß die standardisierten Methoden angewandt wurden, die beim Umgang mit Finanzoasen üblich sind. Die 68 deutschen Tochterbanken in Luxemburg können dort legal tun, was in Deutschland verboten ist: Konten mit Nummern und Tarnnamen einrichten.
Alles begann 1992, als in Deutschland die Quellensteuer eingeführt wurde. Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft, schätzt, daß seitdem etwa 800 Milliarden Mark ins Ausland geschafft wurden – 300 Milliarden nach Luxemburg, 300 Milliarden in die Schweiz, der Rest vor allem nach Österreich und Liechtenstein.
Nur jede fünfte dazuverdiente Mark wurde dem deutschen Fiskus gemeldet. Bisher sind 100.000 anonymisierte Anleger enttarnt, ihre Geldanlagen summieren sich auf 100 Milliarden Mark. Rechnet man das hoch, käme man auf 600.000 bis 800.000 mögliche Steuerhinterzieher.
In Niedersachsen wurden zum Beispiel bislang 30 Geldinstitute überprüft. Ergebnis: 1.300 Selbstanzeigen, 1.835 abgeschlossene Verfahren, 13.000 zu klärende Fälle. Wenn man berücksichtigt, daß noch 200 Institute zur Überprüfung anstehen, daß die Deutsche Bank bisher nicht dabei und nur Luxemburg im Visier war, kommt man auch mit dieser Rechnung für ganz Deutschland auf mehrere hunderttausend mögliche Steuerhinterzieher.
Niedersachsen hat 150 Steuerfahnder zusätzlich eingesetzt; sie haben 1997 ein Mehrergebnis von 200 Millionen Mark hereingeholt. Nach diesem Modell will der niedersächsische Finanzminister Heinrich Aller weiter vorgehen: „Jährlich werden Steuern auf Zinserträge von 20 Milliarden Mark hinterzogen. Es ist eine Sache der Steuergerechtigkeit, daß sich der Staat von Steuerhinterziehern nicht beliebig vorführen läßt. Außerdem könnten wir die Staatsverschuldung zurückschrauben.“
Während es den Kunden an den Kragen geht, ist die Beweislage für die Beihilfe der Banken dürftig. Es ist absurd anzunehmen, die flächendeckenden Systeme wären ohne Vorstandsbeschlüsse möglich gewesen. Aber diesbezüglich trafen die Fahnder auf Banken, die „klinisch rein“ waren. Und gegenwärtig sieht es nicht so aus, daß sich Vorstellungen von einer großen Fahndungsoffensive, wie es Finanzminister Aller vorschwebt, durchsetzen.
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