■ Normalzeit: Live dabei!
Endlich mal wieder ein Kontoauszug im Briefkasten. Scheiße: nur eine Abbuchung — mein Mitgliedsbeitrag für die IG Medien. Wozu eigentlich? Das einzige Mal, wo ich sie gebraucht habe, als ich in einem Gegendarstellungsprozeß einen Anwalt brauchte, versagte sie, und ich mußte alles selber zahlen. Zum Glück übernahm dann die taz die Kosten.
Am Abend lese ich „Die Lebensgeschichte von Tönnies Hellmann“ — ein kommunistischer „Hafenarbeiter in Hamburg“, hinter mir läuft — im Fernsehen eine Arte-Debatte über „68“, libertär moderiert von Cohn-Bendit u.a. Mit einem fast stummen Christian Semler als Diskutanten. Wegen des Zwangs zum Zweisprachigen artet das Ganze trotzdem in ein füchterliches Gebabbel aus, zwischendurch gibt es auch noch immer wieder kunterbunte 60er-, 70er- und 80er-Jahre-Clips. Nach dem Interview mit einer französischen Landkommune behaupten diese revolutionszentrischen Franzmänner: „Auch in Deutschland entstand dann eine Alternativbewegung!“ Das Gegenteil ist der Fall: Strenggenommen gab es sie in den romanischen Ländern überhaupt nicht, dafür wurde dort die Arbeiterbewegung nie völlig zerstört. Dann kommt ein deutscher Alternativbetrieb ins Bild: eine Druckerei. Die Druckerin kenne ich: Konstanze Lindemann — es ist „meine“ Berliner IG-Medien- Chefin (oder wie das heißt). Wunderbar! Dafür zahlt man doch gerne monatlich 18 Mark 75. Um so mehr als ich weiß, daß sie das bloß ehrenamtlich macht, d.h. meine paar Kröten dienen nur dazu, ihre Aktivitäten zu unterstützen. Und was die betrifft: Daran gibt es nichts auszusetzen. Schon zu SDS-Zeiten gehörte sie zu den Radikalen (Feministinnen) — und gründete z. B. Die Frauenkommune in der Xantener Straße mit... Im Fernsehen sagt Semler: „Man hoffte, daß sich die Intellektuellen proletarisieren, aber das Gegenteil passierte: die Jungarbeiter intellektualisierten sich — sie gingen später fast alle zur Universität und machten Karriere.“ Mal abgesehen davon, daß man die jetzigen Akademiker beim besten Willen nicht mehr als Intellektuelle bezeichnen kann, auf Konstanze Lindemann trifft das nicht zu. Nach ihrer Arbeit in der Alternativdruckerei fing sie in einer normal-kapitalistischen Klitsche an. Beim Druckhaus Hentig brachte sie es dann irgendwann sogar bis zur Betriebsratsvorsitzenden. Wahrscheinlich fehlen hier etliche Biographeme von ihr, weil sie mir (natürlich) immer wieder aus den Augen geriet. Auch jetzt habe ich sie schon wieder mehrere Jahre nicht mehr gesehen — bis auf neulich ganz kurz bei der 1. Mai-Demo der IG Metall, wo mir jemand dann erzählte, daß sie in der IG Medien eine Arbeitsloseninitiative mitbegründete. Sie sei inzwischen selber arbeitslos und bewerbe sich laufend — vergeblich — um eine neue Anstellung. Der Druckerei- und Verlagsbesitzer Hentig hatte Konstanze zunächst als Betriebsratsvorsitzende entlassen. Sie erzwang dann jedoch ihre Wiedereinstellung. Der Unternehmer hatte vor dem Arbeitsgericht argumentiert, daß seiner Druckerei (Hentig) durch ihr Verhalten lebenswichtige Aufträge entzogen worden seien. Ein Witz! Selbst der Richter verlor kurz seine Beherrschung. Kurzum: Konstanze wurde wieder eingestellt. Aber dann ging die Druckerei in Konkurs!
Auch die ostdeutsche Betriebsratsinitiative, in der sie aktiv mitarbeitete, ging — nach Bischofferode — ein. Mit ihrem Freund Ingo organisierte sie später in der IG-Medien-Galerie Dudenstraße eine Ausstellung zum Spanischen Bürgerkrieg, außerdem sitzt sie noch im Beirat der Stiftung „Menschenwürde und Arbeitswelt“. Cohn-Bendit meint abschließend im Fernsehen: „Wir sind ein Stück weiter gekommen“. Er meint den TV-Talk. Helmut Höge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen