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Schröder ist die Partei der neuen Mitte

Gerhard Schröder hat die SPD seit seiner Kür zum Kanzlerkandidaten verändert. Der Niedersachse, nie der Liebling der Partei, bestimmt, wo es langgeht. Und die SPD unter ihrem Chef Oskar Lafontaine folgt ihm dabei  ■ Aus Bonn Markus Franz

Seit rund vier Monaten ist Gerhard Schröder Kanzlerkandidat – und schon hat sich die Partei deutlich verändert. Personell, inhaltlich und atmosphärisch. War die SPD vor dem 1. März, dem Tag der Niedersachsenwahl, auf dem Weg, unter dem Vorsitzenden Oskar Lafontaine ihr linkes Profil zu schärfen und sich inhaltlich als eindeutige Alternative zur Union zu präsentieren, gibt sie diese Unterscheidbarkeit unter Gerhard Schröder als Kanzlerkandidat immer mehr auf. Vor dem 1. März hatte Schröder auf die Frage, ob er als Kanzlerkandidat heftigen innerparteilichen Widerstand wegen seiner inhaltlichen Vorstellungen befürchte, geantwortet: „Gegen das Amt des Kanzlerkandidaten kann man keine Politik machen.“ Wie recht er hatte.

Selbst Parteichef Lafontaine ordnet sich Schröder inzwischen klaglos unter. Als dessen Kandidat für das Wirtschaftsministerium, Jost Stollmann, den Erfolg eines Bündnisses für Arbeit, eigentlich der Masterplan der SPD, in Frage stellte, sprang Lafontaine ihm solidarisch bei und schalt die Kritiker als naiv. Ob Schröder den Ausstieg aus der Atomenergie hinauszögern will, was einem Teil der SPD insgeheim vor Ärger den Kamm schwellen läßt, oder ob Schröder noch vor Verteidigungsminister Volker Rühe einen Nato-Einsatz im Kosovo ohne UNO-Mandat öffentlich für möglich hält – Lafontaine läßt es geschehen. Erst einmal die Wahl gewinnen, sagt er sich wohl. Dann kann man immer noch weitersehen.

Bis zur Kandidatenkür am 1. März sah es so aus, als wolle Lafontaine die SPD bewußt auf einen Weg steuern, den Gerhard Schröder nicht gehen konnte. Der Parteichef setzte die Ausbildungsplatzabgabe durch, forderte Lohnerhöhungen, um die Binnenkonjunktur anzukurbeln, lehnte eine Senkung des Spitzensteuersatzes ab, sprach sich gegen den Bau des Eurofighters aus, forderte einen raschen Ausstieg aus der Kernenergie und setzte den Schwerpunkt vieler Reden auf die Harmonisierung von Steuern und Abgaben. Schröder war und ist in allen Punkten anderer Ansicht. Aber erst seitdem er Kanzlerkandidat ist, hat das für die Außenwirkung der SPD Bedeutung.

Sowohl Schröder als auch Lafontaine bezeichnen diese Sichtweise als Humbug. Sie ließen sich nicht auseinanderdividieren, sagen sie. In der Tat können beide darauf verweisen, das Wahlprogramm mitzutragen. Aber was heißt das schon? Nehmen wir das Beispiel Ökosteuer. Es macht schon einen Unterschied, ob Schröder meint, die Bezinsteuer dürfe „maximal um sechs Pfennig“ angehoben werden, oder Lafontaine für zehn Pfennig plädiert. Zumal niemand weiß, ob mit Schröder überhaupt eine Benzinpreiserhöhung zu machen ist. Bei der Frage des Spitzensteuersatzes haben Lafontaine und Schröder eine gemeinsame Sprachregelung gefunden: 49 Prozent; vielleicht mehr, wenn es die Finanzen zulassen. Die Praxis nach einem SPD- Wahlsieg sähe aber so aus: Mit Schröder gibt es eine Absenkung des Spitzensteuersatzes unter 49 Prozent. Mit Lafontaine als Kanzler gäbe es sie nicht.

Dabei geht es nicht bloß um Arithmetik, sondern um grundverschiedene Ansätze. Lafontaine, der eher von den sozialdemokratischen Grundsätzen her argumentiert, sieht nicht ein, warum die Großverdiener entlastet werden sollen. Schröder, den Wirtschaftsmann, kümmert es nicht so sehr, was das sozialdemokratische Herz anspricht. Er will durchsetzen, was er für vernünftig hält. Im vorigen Jahr durfte ihn noch jeder schelten, wenn er aus seinem Herzen wieder mal keine Mördergrube machte und den Sozis mit irgendwelchen Vorschlägen Verdruß bereitete. Sein Vorschlag, einen Niedriglohnsektor einzurichten, wurde unter dem Einfluß der Parteilinken aus dem Programmentwurf herausgeschrieben. Inzwischen erneuert Schröder seinen alten Vorschlag in Interviews.

Nach der Hamburg-Wahl im Herbst 1997, die für die SPD auch deshalb in die Hose ging, weil die hanseatischen Sozialdemokraten die Law-and-order-Debatte selbst mit angezettelt hatte, mußte auch Schröder zurückrudern. Seinen markigen Spruch „Kriminelle Ausländer raus, aber schnell“, nahm er zwar nicht zurück, paßte sich aber der neuen Sprachregelung an, es komme in erster Linie darauf an, die sozialen Ursachen für Kriminalität zu ändern. Kürzlich sagte er aber wieder markig – und ohne Einschränkung – in einem Interview: „Natürlich stehe ich zu diesem Satz.“

Einen letzten Versuch, Schröder zu bremsen, machte Parteichef Lafontaine, als dieser Anfang April in Israel die Grünen als nicht regierungsfähig bezeichnet und die FDP scheinbar hofiert hatte. Lafontaine, dem eine Koalition mit den Grünen näher liegt als Schröder, kritisierte erbost, man möge doch bitte zu Koalitionsüberlegungen den Schnabel halten. Nach Schröders erneuter Attacke gegen die Grünen wegen des Tempolimits („Lust am Untergang“) ließ sich Lafontaine aber nicht vernehmen.

Überhaupt scheint die Parteilinke der SPD seit dem 1. März abgemeldet zu sein. Am augenfälligsten wird das am Beispiel der Jusos, die vorher eine große Rolle gespielt hatten. Beim Jugendparteitag der SPD in Köln im November 1996 warfen sich die Juso-Cehfin Andrea Nahles und Lafontaine noch gegenseitig die Bälle zu. Auf Drängen der Jusos wurde die Ausbildungsplatzabgabe beschlossen. Für Schröder ist Andrea Nahles dagegen nur die „Dings“.

Die gravierendste Personalentscheidung aber hat Gerhard Schröder mit Jost Stollmann getroffen. Mit dem ehemaligen CDU-Mitglied und Kohl- Bewunderer, so befürchten nicht wenige Genossen, verwässert die SPD ihre Identität. Schließlich ist es bei dem Wirtschaftsmann Stollmann noch deutlicher als bei Schröder, daß er auch bei der CDU einen Ministerposten antreten könnte. Mag Stollmann noch so sehr in Schröders „Wir sind die Mitte“-Wahlkampf passen – entscheidend ist für viele Sozialdemokraten allemal, daß er in seiner Firma keinen Betriebsrat hatte.

Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering weiß, wie gefährlich die Personalentscheidung Stollmann ist. Deshalb beruhigt er seine Sozialdemokraten auch mit dem Hinweis: Nicht was Stollmann sagt, sondern das Programm ist entscheidend. Aber was, wenn noch mehr Stollmänner kommen?

Vielleicht läßt sich die SPD ja davon einlullen, daß Schröder gelegentlich die Lafontaine-Linie vertritt. So etwa, wenn er nach seiner Wahl zum Kanzlerkandidaten mehrfach ankündigt, die SPD werde die Reformen der Regierung zu Rente und Lohnfortzahlung zurücknehmen. Wer's glaubt, wird selig. Bei den Verhandlungen zum Bündnis für Arbeit wird sich schon ein Weg finden lassen, die Beibehaltung der Reformen als zwar bedauerlichen, aber notwendigen Kompromiß zu verkaufen.

Soll niemand sagen, die SPD habe nicht gewußt, was auf sie zukommt. Auf der Krönungsmesse Schröders, dem Leipziger Parteitag, sagte der Kandidat ganz unverblümt, wo die Reise hingehen soll: Man dürfe nicht nur über die neue Mitte reden, sondern müsse auch eine Partei der neuen Mitte sein. Keine Hand rührte sich zum Applaus. Aber bis heute rührt sich eben auch kein Widerspruch.

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