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KommentarEin gerechtes Verfahren

■ Der Bundestag darf Gregor Gysi einen IM der Stasi nennen

Nach der Wende hat Bärbel Bohley die bittere Klage erhoben: „Wir haben Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen.“ Nun ist ihr in einer Sache, die vor allem auch die ihre war, in einem rechtsstaatlichen Verfahren Gerechtigkeit widerfahren. Gregor Gysi war, so hat es der Deutsche Bundestag festgestellt, Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Das Bundesverfassungsgericht hat einstimmig dem Bundestag die Berechtigung zuerkannt, dieses Urteil zu fällen. Die jahrelange Auseinandersetzung Bohleys und der anderen Bürgerrechtler mit dem Anwalt ist damit zu ihren Gunsten entschieden. Es sollte, acht Jahre nach der Einheit, die letzte Kontroverse um eine IM-Tätigkeit sein. Erhellendes ist von weiteren nicht zu erwarten.

Es war eine der zentralen Auseinandersetzungen zwischen den ehemaligen Oppositionellen und den ehemals Mächtigen um den Unrechtsgehalt des DDR-Systems und um den Anteil an Schuld, den ehemalige Funktionsträger, und ein solcher war Gysi, zu bewältigen haben. Es war keine Auseinandersetzung zwischen Ost und West, auch wenn manch Konservativer in München oder Bonn seinen politischen Nektar daraus saugt.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Minderheitsvotum deutlich gemacht, daß der Bundestag mit einigen Aussagen drohte, den Boden der Tatsachen zu verlassen. Die Parlamentarier haben dieses Votum der vier Richter unnötigerweise riskiert, denn der Kern des Casus Gysi wurde von den beanstandeten Aussagen nicht berührt. In dem Spruch der Verfassungsrichter ein „Sonderrecht Ost“ zu erblicken, wie es jetzt die PDS tut, ist in der Sache absurd. Es ist demagogisch, setzt es doch die Person Gysis und die PDS in eins mit der gesamten Bevölkerung. Aus einem solchen Alleinvertretungsanspruch spricht die schlechte Tradition. Und es ist so verlogen wie noch fast jedesmal, wenn die Partei die Reihen schloß, statt die Debatte zu eröffnen, wenn einer der ihren der Stasi- Tätigkeit bezichtigt wurde.

Es ist illusorisch, von der PDS nun eine andere Haltung zu erwarten, als sie in den letzten Jahren an den Tag gelegt hat. Gysi wird sein Mandat behalten. Ob zu Recht oder nicht, darüber dürfen aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit nicht seine Parlamentskolleginnen und -kollegen befinden. Darüber können aber Gysis Wählerinnen und Wähler am 27. September entscheiden. Dieter Rulff

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