: Eine freundliche Wüstenbegegnung
■ Aus der Versenkung aufgetaucht: Nicolas Roegs Rousseau-Versuchung „Walkabout“
Fast pünktlich zum Todestag des Peyote-Gurus Carlos Castaneda taucht aus der Versenkung Nicolas Roegs Film „Walkabout“ von 1971 auf, die Geschichte einer Wüstenbegegnung zwischen einem freundlichen Aboriginal und zwei verlassenen weißen Kindern aus Sydney. Die Farben strahlen wie auf einem frisch fertiggestellten Gemälde von David Hockney: das Blau des Swimmingpools vor dem Haus der Eltern, die weißgekalkten Hafenmauern, der sterile Blick aus dem Küchenfenster. Gleich weiß man, daß die Gondeln bald wieder Trauer tragen werden, wenn schnell und unheilverkündend zwischen der Mutter in der Küche, dem Vater mit seinem Schnapsglas am Vormittag und den beiden Kindern in ihren Schuluniformen hin und hergeschnitten wird. Aus dem Radio wehen Satzfetzen herüber, Tips für die Hausfrau, von denen man schon weiß, daß sie in ihrer Harmlosigkeit nur dem anrückenden Desaster einen kräftigen Kontrast bieten sollen.
Um Unheil zu filmen, scheint Australien ein guter Ort zu sein. Die Nähe der Städte zu riesigen Wüsteneien, Stromschnellen und Dschungelgebieten, in denen Menschen ohne Ausrüstung und Erfahrung keine vierundzwanzig Stunden überleben können, mag dazu beitragen. Erstaunlich nur, daß bei den katastrophischen Konfrontationen zwischen Mensch und Natur, die zum Beispiel Peter Weirs Filme zeigen, das Pendel der Sympathie meist zugunsten der Natur ausschlägt. Die gackernden Mädchen, die in einem Felsen verschwinden; der verrückte Forscher, der den Aborigines Eis bringen will; der Anwalt, der sie gegen den Vorwurf der Mordes zu verteidigen sucht — sie alle bezahlen teuer für ihre Vorwitzigkeit.
Auch bei Roeg hat die Zivilisation des weißen Mannes nicht viel für sich in die Waagschale zu werfen. Der Vater, ein heimlicher Trinker mit Aktenkoffer, hat seine beiden Kinder, eine Vierzehnjährige (Jenny Agutter) und ihren sechsjährigen Bruder (gespielt von Roegs Sohn Lucien), in der Wüste ausgesetzt, nachdem er sich eine Kugel in den Kopf gejagt hat. Die Schule der Weißen hat ihnen wenig beigebracht, was ihnen hier nützen könnte (warum sollte sie auch), und so ziehen sie ratlos von Hügel zu Hügel, schlafen in einer Schlucht und verbrauchen die letzten Vorräte. Es steht sehr schlecht für sie, als aus dem Nichts plötzlich ein junger Aboriginal auftaucht, der sich mitten in seinem Initiationsritual, dem „Walkabout“, befindet, in dem er sich als lebenstüchtig erweisen muß. Er holt Wasser noch aus dem verkarsteten Wüstensand, er erlegt pfeilschnell Hasen mit einem frisch geschnitzten Speer und flüstert nachts tröstende Worte. Musik von Stockhausen. Eine Zeitlang sind sie eine glückliche Familie, baden im See, brutzeln sich prima Gazellen und bemalen sich gegenseitig die Gesichter. Leguane schauen dich an. Mit den ersten Spuren von Weißen, auf die sie treffen, ist das Paradies vorbei: Wilderer, korrupte Forscher, ausbeuterische Postkolonialisten, die ganze Bagage. Glücklich stürzt das Mädchen auf sie zu, der Krieger bleibt zurück. Ganz verkehrte Welt. Mariam Lau
„Walkabout“. Regie: Nicolas Roeg. Mit Jenny Agutter, Lucien John u.a. Australien 1971, 95 Min.
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