■ Gestern fielen die ersten Schuldsprüche in DDR-Dopingprozessen: Die klägliche Rolle des IOC
„Das Wichtigste ist der Lernprozeß weltweit.“ Diese Hoffnung knüpfte der Heidelberger Professor Werner Franke zu Beginn der Prozesse zur flächendeckenden Dopingvergabe in der DDR an die Aktivitäten der Justiz. Gestern wurden nun die ersten Schuldsprüche wegen Körperverletzung gegen zwei Ärzte und einen Schwimmtrainer verhängt, doch inzwischen scheint die Zeit über das Thema Doping und DDR längst hinweggegangen zu sein.
Besagter Lernprozeß ist den Sportverbänden durch die Epo-Tour-de-France und die zur Zeit von allen Seiten über den Weltsport hereinbrechenden Dopingskandale (Schwimmen, Leichtathletik, Fußball) bereits aufgezwungen worden, und ebenfalls gestern – pikante Koinzidenz – tagte in Lausanne die IOC-Exekutive, um der Kritik an der kläglichen Art der Bekämpfung des Übels etwas entgegenzusetzen. Die Beschäftigung mit der DDR mutet unter diesen Umständen, in populärer Filmsprache ausgedrückt, ein wenig an wie die Aufarbeitung des Aussterbens der Dinosaurier, während ein Meteorit von der Größe, sagen wir, Thüringens auf die Erde zurast.
Dabei gerät leicht in Vergessenheit, daß die Berliner Prozesse – das sogenannte Pilotverfahren gegen fünf Ärzte und Trainer läuft noch – keineswegs Ende, sondern Anfang der juristischen Bewältigung sein sollen. Die geständigen Angeklagten gaben im gestern beendeten Prozeß die Weitergabe von Tabletten mit dem Anabolikum Oral-Turinabol zu, bestritten das gravierendere Injizieren von Testosteron, ebenso das Wissen um deren gesundheitsschädigende Wirkung und beriefen sich darauf, Handlanger gewesen zu sein. Ihr Schuldspruch soll die Grundlage dafür bilden, diejenigen vor Gericht zu stellen, die das Dopingsystem der DDR geschaffen haben: Sportführer wie Manfred Ewald, Günther Erbach oder Egon Krenz, die, das zeigen Stasi-Unterlagen, sehr wohl über die Gesundheitsschädigungen informiert waren. Läßt sich der Tatbestand der Körperverletzung juristisch festklopfen, sind die unsauberen Herren dran.
Gleichzeitig kann das IOC, das sich angesichts seiner eigenen Unfähigkeit in Sachen Doping zunehmend mit staatlichen Interventionen anfreundet, den Berliner Prozessen eine wertvolle Erkenntnis entnehmen: Der Ruf nach dem Staat wird zur Farce, wenn dieser mit den Dopern unter einer Decke steckt oder gar identisch ist. In der Vergangenheit war dies, ob Ost oder West, nicht selten der Fall. Matti Lieske
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