■ Die Entscheidung über das Holocaust-Mahnmal ist verschoben: Der einzige mögliche Weg
Politiker müssen keine Intellektuellen sein, doch wenn sie sich in historische Debatten einmischen, dann sollte man ein Mindestmaß an Reflexion erwarten dürfen. Die Debatte um das Berliner Holocaust- Mahnmal hat derzeit ihren Tiefpunkt erreicht. Sie wirkt kleinkrämerisch, man schiebt sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, und die ganze Veranstaltung geht auch langmütigen Zeitgenossen auf die Nerven. Daran haben nicht zuletzt zwei Politiker schuld, die, stets verbunden mit der heftigen Beteuerung, daß das Mahnmal keinesfalls im Wahlkampf zerredet werden dürfe, genau dies getan haben.
Helmut Kohl hat unlängst erklärt, daß das Mahnmal endlich gebaut werden müsse, weil die amerikanische Ostküste dies erwarte. Unter allen möglichen Argumenten für das Mahnmal ist dies das dümmste. Das Mahnmal soll, an zentralem Ort, die Deutschen an Verbrechen erinnern, die Deutsche an Juden begangen haben. Die Begründung für das Mahnmal kann nur eine deutsche sein. Kohls obskurer Hinweis darauf, was amerikanische Juden erwarten, ist nichts als der törichte Versuch, die Verantwortung zu delegieren, nachdem er in der Debatte den Überblick verloren hat. Politisch ist Kohls Äußerung fatal. Wenn Deutsche dieses Mahnmal bauen, um amerikanischen Juden zu gefallen, dann ist dies Wasser auf die Mühlen rechtsradikaler Propaganda.
Dem zweiten Politiker, Gerhard Schröder, ist die deutsche Vergangenheit ohnehin herzlich egal. Er denkt lieber an die Zukunft, die unter seiner Kanzlerschaft gewiß rosig wird. Zur Debatte steuerte er die originelle Bemerkung bei, daß die Diskussion neu beginnen müsse. Seit zehn Jahren zerbrechen sich Publizisten, Historiker und Künstler den Kopf über das Mahnmal. Es gab zahlreiche Kolloquien, Stellungnahmen, Exposés, Polemiken und Antworten auf die Polemiken. Aber dafür interessiert sich Schröder nicht. Es gibt eine Menge gute Gründe gegen das Mahnmal. Schröders Argument ist das dümmste unter allen möglichen Begründungen, warum man die Entscheidung besser verschieben sollte.
Kohl und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, haben nun beschlossen, erst nach dem 27. September über das Mahnmal zu befinden. Dies hat den Nachteil, daß die Debatte wohl oder übel weitergehen wird. Auch Kohls Motiv für die Verschiebung dürfte wenig nobel sein: Die Mahnmal-Debatte ist komplett ungeeignet, um daraus politisches Kapital bei der Bundestagswahl zu schlagen.
Trotzdem ist die Verschiebung der einzig mögliche Weg. Sie erspart uns, daß Politiker im Wahlkampf noch mehr Unfug reden und eine bislang interessante, niveauvolle Debatte ruinieren. Der entscheidende Grund für die Verschiebung lautet: Ein Mahnmal, das Kohl in seinen vermutlich letzten Amtstagen auf Biegen und Brechen durchsetzt, würde zu Recht als autoritäres Oktroi empfunden. Das Mahnmal würde nicht als das Resultat einer offenen, langwierigen, komplexen, schwierigen Diskussion gelten, sondern als das ungeliebte Vermächtnis eines Fürsten, der sich seinen Abgang mit einer Hinterlassenschaft für die Ewigkeit versüßen wollte. In der verunglückten Neuen Wache Unter den Linden ließ Kohl Anfang der 90er Jahre eine aufgeblasene Kollwitz-Pietà plazieren. Das Holocaust-Mahnmal wäre, würde es jetzt, mitten im Wahlkampf, vom Kanzler verordnet, das zweite Monument für die Egozentrik des Hobbyhistorikers Kohl.
Was nun? Über das Mahnmal entscheiden derzeit der Förderkreis, die Bundesregierung und der Berliner Senat. Man sollte diese ohnehin recht komplizierte Entscheidungskonstruktion ändern. Es geht um die Frage, ob in der deutschen Hauptstadt ein zentrales Denkmal an den Holocaust erinnern soll. Es geht darum, ob der Holocaust, in dieser artifiziellen Form, Teil der nationalen Selbstrepräsentation werden soll. Diese Frage wäre im Parlament besser aufgehoben. Kohls und Schröders Äußerungen sind gewiß keine gute Empfehlung, die Entscheidung ganz und gar in die Hände der Politik zu legen. Doch historische Debatten im Bundestag waren oft viel qualifizierter, als zuvor zu ahnen war. Stefan Reinecke
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