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Die Jahrhundertkatastrophe blieb aus

Nach anfänglicher Kritik heimst Peking jetzt viel Lob für sein Flutbekämpfungsprogramm ein. Experten sehen sogar Chancen für ein Wirtschaftswachstum. Bonn sagt 25 Millionen Mark Entwicklungshilfe zu  ■ Aus Peking Georg Blume

Obwohl der chinesische Partei- und Staatschef Jiang Zemin bereits Anfang September den Sieg der Kommunisten über die diesjährigen Jahrhundertflut in Mittel- und Nordostchina verkündete, glaubt die deutsche Bundesregierung nicht an eine schnelle Bewältigung der chinesischen Flutkatastrophe. Gestern erteilte deshalb der deutsche Botschafter in Peking, Konrad Seitz, eine Zusage über Entwicklungshilfe in Höhe von 25 Millionen Mark an den chinesischen Außenhandelsminister.

Allerdings zweifelt Bonn nicht am Erfolg der Pekinger Katastrophenbekämpfung. Im Gegenteil: „Es nötigt uns große Achtung ab und verstärkt unser ohnehin bestehendes Vertrauen in die große Zukunft dieses Land, wenn wir sehen, wie die chinesische Regierung, die Volksarmee und das Volk mit dieser Katastrophe umgegangen sind“, sagte Seitz gestern in Peking.

Das nachträgliche Lob des deutschen Botschafters stellt westliche Berichte auf den Kopf, die auf dem Höhepunkt der Flutkatastrophe im August ein düsteres Bild der chinesischen Gegenmaßnahmen malten. Die Rede war von einem Propaganda-Apparat gewesen, der das Ausmaß der Fluten verschweige, Opferzahlen nicht veröffentliche und den Betroffenen vor Ort nicht helfe.

Inzwischen aber hat sich bei westlichen Diplomaten in Peking ein anderer Eindruck verbreitet. Bonn steht nicht allein, wenn es die chinesische Flutbekämpfung rückblickend billigt. Obwohl bisherige offizielle Opferzahlen, wonach annähernd 4.000 Menschen bei den Überschwemmungen ums Leben kamen, nach wie vor als unrealistisch gelten, will kaum jemand mehr den Gesamterfolg Pekings im Kampf gegen das Wasser bestreiten. All das, was Pessimisten bis zum Schluß befürchteten und die Bezeichnung „Jahrhundertkatastrophe“ gerechtfertigt hätte, ist nicht eingetreten. Die gefährdeten Großstädte Wuhan am Yangtse und Harbin im Nordosten blieben von Deichbrüchen verschont. Und auch die wichtigen Ölfelder in der Nordostprovinz Heilongjiang, wo man einen Einbruch der chinesischen Energieproduktion vorausgesagt hatte, versanken nicht alle im Wasser. Weniger als zwei Prozent der Ölquellen mußten zeitweilig geschlossen werden.

Von einer Jahrhundertkatastrophe kann also auch von ökonomischer Seite keine Rede mehr sein. Zwar werden die Kosten weiter auf 34 Milliarden Mark geschätzt. Doch das Hongkonger Wirtschaftsmagazin Far Eastern Economic Review machte jetzt eine andere Rechnung auf: „Statt Chinas Wirtschaftswachstum herunterzudrücken, könnte die Sintflut sogar für mehr Wachstum sorgen.“ Das Blatt zitiert die fällig werdenden Infrastrukturprogramme in den Katastrophengebieten als Wachstumsmotoren. Außerdem könnte die Konsumbereitschaft der Chinesen steigen, wenn den Flutopfern Hilfe aus den Städten zuteil wird und im Volk der Eindruck entsteht, die Krise sei überwunden.

Unabhängig davon, ob die Flut den Wirtschaftswachstum fördert oder hemmt, gibt sie der Regierung eine Ausrede an die Hand, mit der sich jedes Abweichen von dem festgelegten Wachstumsziel von 8 Prozent in diesem Jahr rechtfertigen läßt. Auch so würde die Flut zur Stabilisierung der Wirtschaftslage beitragen.

Offen sind auch die ökologischen Folgen der Flut: Während der Hongkonger Greenpeace- Chef Ho Wai Chi kürzlich eine negative Bilanz zog und Peking vorhielt, am teuren Dreischluchten- staudammprojekt am Yangtse festzuhalten, charakterisierte der Vorsitzende des World-Watch-Instituts in Washington, Lester Brown, die chinesische Krisenreaktion als „sehr ermutigend“. Der Umweltexperte verharmlost nicht das Problem: „Wir können in den kommenden Jahren mit noch schlimmeren Fluten rechnen, die weit größere Evakuierungsmaßnahmen erfordern.“ Doch Brown lobt die neue Bereitschaft Pekings, die ökologischen Ursachen der Katastrophe offenzulegen und radikale Maßnahmen einzuleiten.

Zumindest rhetorisch läßt sich die kommunistische Krisenbewältigung kaum noch überbieten: „Laßt uns die Holzfäller zu Baumpflanzern machen“, forderte Premierminister Zhu Rongji vor wenigen Tagen beim Besuch in einer Krisenregion. Sogar vom Wachstum will der Wirtschaftszar Abstriche machen, wenn dafür Wälder gerettet werden. Konkret ordnete er das sofortige Verbot aller Abholzungen an, das theoretisch allein in der Provinz Sichuan 100.000 Holzfäller arbeitslos machte. Vorausgegangen war das Eingeständnis der Regierung, daß die von Menschen betriebene Abholzung der Wälder in den oberen Flußgebieten hauptverantwortlich für die Fluten waren. Sollten dieser Erkenntnis die angekündigten Maßnahmen folgen, macht deutsche Entwicklungshilfe für China in diesen Tagen um so größeren Sinn.

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