: Dixieland als Totenlied für die Ems Sperrwerk
Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder ließ diese Woche den ersten Stahlträger fürs Emssperrwerk in den Schlick rammen. Fischer, Bauern, Naturschutzverbände und Gandersumer protestierten. Vor Ort war ■ Thomas Schumacher
„In drei Jahren will ich das Sperrwerk eröffnen. In welcher politischen Funktion auch immer“, sprach am Donnerstag ein sichtlich abgespannter Ministerpräsident Gerhard Schröder. Kurz nach seiner knappen Ansprache ließ er den ersten Stahlträger für das Fundament des umstrittenen Sperrwerkes im Flußschlick vor Gandersum/Ostfriesland rammen. Wortreicher überbrachte der emsländische CDU-Abgeordnete Rudolf Seiters die herzlichen Grüße des Bundeskanzlers sowie die Hälfte der zur Zeit auf 353 Millionen Mark festgelegten Bausumme. „Da stehen die Drahtzieher vereint zusammen“, kommentierte die grüne Landtagsabgeordnete Meta Janssen-Kucz, „wir erleben hier eine Machtdemonstration der vorweggenommenen Großen Koalition.“
Eine Machdemonstration. Eine gerichtliche Klärung und damit die endgültige Entscheidung ob das Sperrwerk gebaut werden darf, wird hingegen nicht vor Mitte Oktober erwartet. Denn mittlerweile liegen dem Verwaltungsgericht Oldenburg noch vor Ablauf der gesetzlichen Fristen, Eilklagen aller großen deutschen Naturschutz- und der niederländischen Umweltorganisationen „Waddenvereiniging“ und „Vereiniging Naturmonumenten“ vor.
„Was Schröder hier abzieht ist billiger Wahlkampf. Er hätte bis zur gerichtlichen Klärung warten müssen“, schimpft Robert Exner, Pressesprecher des BUND. Nach der Beendigung des Planfestellungsverfahrens und dem Erlaß des entsprechenden Beschlusses, hatte die Bezirksregierung Weser-Ems den sofortigen Vollzug und damit prinzipiell den Baubeginn angeordnet.
Rückblende:
Donnerstag morgen, neun Uhr, am Kai in Emden. An der Gangway des Ausflugsdampfers „Admiral Warsteiner“ begrüßt Baudirektor Wolf-Dietmar Starke, behördlicher Leiter der Projektgruppe Emssperrkwerk, persönlich die zum Rammstoß geladenen Gäste. Starke wird sich später an Bord artig dafür bedanken, daß Politiker die Rahmenbedingungen geschaffen haben, damit auch einmal eine Behörde zeigen konnte, was sie planerisch drauf hat. Eine zweischneidige Äußerung. Denn als Gerhard Schröder 1996 in einem Gespräch mit dem Papenburger Werftenchef Bernhard Meyer das Sperrwerk festklopfte, beriet Starke noch den Generalplan Küstenschutz.
Darin war von einem Sperrwerk zwar nie die Rede, klar aber war 1996, daß eine weitere Vertiefung der Ems nicht mehr in Frage kam, um den großen Luxusliner aus der Papenburger Werft ins tiefe Nordseewasser zu schleppen. Der politische Ausweg: Ein Sperrwerk.
So mußte Wolf-Dietmar Starke gegen seinen eigenen Küstenschutz-plan das Emssperrwerk als Naturschutzmaßnahme durchsetzen. Nur als diese Schutzmaßnahme war das Bauwerk überhaupt finanzierbar. Tatsächlich aber hilft es kurzfristig nur der Meyerwerft. Die Ems ist jetzt durchgängig 7,30 tief, Meyer will Schiffe mit noch mehr Tiefgang bauen, deswegen soll die Ems aufgestaut werden.
Donnerstag morgen, neun Uhr, Ditzumer Hafen, gegenüber von Gandersum. Eigner Wilfried schrubbt seinen alten Krabbenkutter „Heike“. Der wird heute die führenden Köpfe deutscher und niederländischer Umweltorganisationen zum Sperrwerksprotest schippern. Allesamt sind die AktivistInnen von BUND, WWF, LBU und NABU Stammgäste an der Ems. Jahrelange Verhandlungen um die Emsvertiefungen ließen Ditzum zu einer festen Größe in ihrem Terminkalender werden.
Dabei hatten die Öko-Politiker nach der letzten Emsvertiefung zum Schrecken ihrer Basis noch auf eine juristische Auseinandersetzung verzichtet und statt dessen der Meyerwerft Gelder für Ersatzmaßnahmen aus der Tasche geleiert. Einen Baustop für das Sperrwerk aber erhoffen sie sich jetzt nur noch per Gerichtsurteil. Und auch die Ditzumer Fischer protestieren an diesem Donnerstag vormittag. Mit ihren neuen Hochseekuttern – deren Ankauf hatte die Meyer-Werft zuvor mit einigen Millionen bezuschußt und den Fischern so die Klage gegen die letzte Emsvertiefung abgekauft. Jetzt haben sie Angst, mit dem Sperrwerk Fischgründe zu verlieren.
Donnerstag vormittag, kurz vor zehn Uhr. Die Warsteiner Admiral und die Protestflotte, der sich ein Segelkutter der niederländischen Umweltorganisation „Waddenvereiniging“ und ein Privatsegler anschließen, treffen sich am Rammponton auf der Ems. Am Gandersumer Deich sind zwei große Feldzelte mit Dixilandmusik für die Bewirtung der Landgäste aufgeschlagen. Auf dem Deich entrollen Arbeiter der Meyer-Werft ein riesiges Transparent, sinngemäß: Ökologie und Ökonomie, Hand in Hand. Pikant: Zelte und Transparent stehen direkt im Naturschutzgebiet. Hinter dem Deich hält der Gandersumer Pfarrer Günter Faßbender eine Andacht.
Dann wird die Ems unter den Klängen von „Spiel mir das Lied vom Tod“ symbolisch im Sarg zu Grabe getragen. Das Sperrwerk, so steht auf Transparenten zu lesen, versetze der Ems den Todesstoß. Vom gegenüberliegenden Deich fordern Bauern „Ausgleich“. Fernsehteams reißen sich um Walter Bünker (“Ich bin nicht an sondern auf der Ems geboren.“)
Spätestens seit seinem Interview in der taz ist der Ostfriese für sein kompromißloses Engagement für die Natur bekannt. Von der „Heike“ aus droht er Schröder Prügel an: „Komm rüber, Du Feigling. Oder laß mich anlegen!“ Schröder grüßt und droht lächelnd mit dem Zeigefinger. Bünker lebt und leidet mit seiner Ems. Das Sperrwerk wird, so ist er überzeugt, die Ems und ihr Mündungsdelta, den Dollart, als Natur-Refugium zerstören.
Wenn das Wattenmeer die Haut zwischen Meer und Küste ist, dann ist der Dollart eine Fingerspitze. Höchst sensibel, was seine Wasserströme, Schlickgründe, Vogelreservate und Seehundbänke angeht. Schon heute droht die Ems wegen der ständigen Vertiefungen in jedem Sommer zu ersticken. „Wir haben in Holland viel falsch gemacht, als wir noch Stauwerke bauten“, unterstreicht Gerd Smits von der Umweltorganisation „Waddenvereiniging“. „Seit fünfzehn Jahren machen wir das nicht mehr. In Zeeland bauen wir die Sperren wieder zurück oder lassen sie offenstehen“. Er verweist auf das Gutachten eines niederländischen Wirtschaftsinstitutes. Das rechnet vor, daß ein Emsperrwerk die Papenburger Meyerwerft in ihrer ökonomischen Expansion schon in wenigen Jahren behindern wird.
Donnerstag vormittag, zehn Uhr fünfundvierzig. In ein paar Minuten hat der Bagger den ersten Stahlträger für das Fundament des Streitobjektes in die Ems gerüttelt. So lange hält Schröder nicht aus. „Rotkohl“ schimpfen ihm die UmweltaktivtInnen hinterher. Schröder lehnt sich entspannt an die Reeling eines Polizeikreuzers und läßt sich von flinken Booten der Wasserschutzpolizei den Weg freisperren.
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