: Frankreich bremst Globalisierer
Die französische Regierung steigt aus Verhandlungen über das umstrittene Abkommen zum Investitionsschutz (MAI) aus. SPD hofft auf Neuanfang ■ Von Nicola Liebert und Beate Willms
Berlin/Bonn (taz) – Die französische Regierung hat in einem Brief an die OECD gefordert, die für kommende Woche geplanten Verhandlungen zum Multilateralen Investitionsabkommen (MAI) auszusetzen. Dies bestätigte eine Sprecherin des Pariser Wirtschaftsministeriums gegenüber der taz. Premierminister Lionel Jospin kündigte gestern vor der Nationalversammlung sogar an, Frankreich werde sich nicht weiter an der Vorbereitung für das Vertragswerk beteiligen. Allenfalls auf der Basis eines radikal veränderten Textes würde Frankreich wieder an Gesprächen teilnehmen.
Das MAI strebt nach weltweitem Schutz für Investoren: vor Diskriminierung, vor Enteignungen oder vor in Unternehmeraugen übermäßiger Besteuerung. Und wenn sich ein ausländischer Investor benachteiligt fühlt, soll er die Regierung des Gastlandes sogar auf Schadenersatz verklagen können. Umwelt- und entwicklungspolitische Gruppen, Gewerkschaften und Kirchen gingen auf die Barrikaden und forderten einen Schutz von Umwelt und Arbeitnehmern – vor allem in Entwicklungsländern – vor den Investoren.
Den erfolgreichsten Widerstand leisteten die französischen Kulturschaffenden, die fürchteten, künftig ungeschützt der übermächtigen US-Unterhaltungsindustrie ausgeliefert zu sein. Die französische Regierung hatte bereits im Frühjahr für eine sechsmonatige Pause bei den Verhandlungen gesorgt, weil sie den Schutz europäischer Industrie, vor allem aber der Kultur durchsetzen wollte.
Mit der französischen Weigerung, an der neuen Verhandlungsrunde teilzunehmen, sei das MAI wahrscheinlich „klinisch tot“, kommentierte Rainer Engel von der deutschen NGO Germanwatch. Im OECD-Sekretariat hieß es zwar gestern, die Verhandlungen würden auf jeden Fall am Dienstag und Mittwoch stattfinden. Im Bundeswirtschaftsministerium aber schlug man leisere Töne an. Es sei „nicht vorstellbar, gegen den Willen Frankreichs die formelle Wiederaufnahme der Gespräche vorzunehmen“, sagte ein Sprecher. Zwar würden die Delegationsleiter nächste Woche zusammenkommen, aber nur zu Konsultationen darüber, wie es jetzt weitergehen kann.
Dies wird sehr stark von der Position der künftigen Bundesregierung abhängen. In der Vergangenheit hatten sowohl die SPD wie auch die Bündnisgrünen grundsätzliche Kritik am MAI geübt. „Wir können uns dazu überhaupt nicht äußern, bis die neue Regierung in Amt und Würden ist“, hieß es jedoch gestern aus dem Team des designierten Wirtschaftsministers Jost Stollmann. Oskar Lafontaine, der als Finanzminister Globalisierungsfragen zur Chefsache machen will, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
In der SPD-Fraktion hofft man aber auf jeden Fall auf einen Neuanfang. Jetzt sei der Weg frei für ein multilaterales Investitionsabkommen, das der Funktion eines „politischen Managements der Globalisierung“ gerecht werde, erklärt deren wirtschaftspolitischer Sprecher Ernst Schwanhold. Nun könne man „in einem offenen Prozeß, an dem alle Gruppen beteiligt werden“, einen neuen Text entwickeln, in dem die Souveränität der Nationalstaaten ebenso berücksichtigt werden müsse wie Umwelt- und Sozialstandards. Kommentar Seite 12
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