: Abstimmung über die Zukunft Irans
■ Heute wird der „Expertenrat“ der Islamischen Republik gewählt
Berlin (taz) – Als Teherans abgesetzter Bürgermeister sprechen wollte, kam die Polizei. Mit Gewalt lösten die Uniformierten am Dienstag eine Demonstration von 3.000 Menschen auf. Die – hauptsächlich Studenten – hatten ihre Unterstützung für moderate Kandidaten des heute zu wählenden Expertenrates bekundet. Allen voran stand Gholam Hossein Karabastschi, der wegen angeblicher Korruption abgesetzte Oberbürgermeister der iranischen Hauptstadt und enge Vertraute des Präsidenten Mohammad Chatami – ein Hoffnungsträger vor allem der Jugend.
Heute soll die Bevölkerung der Islamischen Republik über die Fortführung des Systems „Welajat-e Faqih“ entscheiden, der von Revolutionsführer Ajatollah Chomeini entwickelten Lehre der Herrschaft der Rechtsgelehrten, die Hauptsäule der iranischen Führung. Die Wahl gilt als wichtigste politische Entscheidung im System des Gottesstaates. Abgestimmt wird über einen aus 86 Personen bestehenden Expertenrat. Der wiederum bestimmt den Religiösen Führer, den mächtigsten Mann im Staat. Derzeit ist das Ajatollah Ali Chameini, konservativer Widersacher des Präsidenten Mohammad Chatami. Alle Bürger über 16 Jahren sind dazu aufgerufen, an den Wahlen teilzunehmen. Das religiöse Establishment hat die Teilnahme an der Abstimmung zur Pflicht erklärt. Dennoch vermuten Beobachter in Teheran, daß eher wenig BürgerInnen zu den Urnen gehen werden. Das wäre eine indirekte Absage an das System Welajat-e Faqih.
Die Abstimmung findet alle acht Jahre statt. Die „Experten“ sind befugt, die Handlungen des Religiösen Führers zu kontrollieren. Laut Verfassung übernimmt dieser während der Abwesenheit des entrückten zwölften schiitischen Imams die Führungsbefugnis und alle damit verbundene Verantwortung im Staat.
Hinter dieser Wahl steht ein Glaubenskrieg mit handfesten Wirtschafts- und Machtinteressen. Die Rechtskonservativen haben in den vergangenen acht Jahren alle Schlüsselpositionen in der Armee, in der Justiz und in der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht und wollen diese Pfründen nicht verlieren.
Die Zahl der Kandidaten wird nach der Bevölkerungszahl festgelegt. Je mehr Einwohner eine Provinz hat, desto mehr „Experten“ darf sie stellen. Der Rat wurde von Revolutionsführer Chomeini eingerichtet. Die notwendigen Qualifikationen der Experten sind: Frömmigkeit, tadellose Moral, politische und soziale Einsicht, Vertrauen in die Führung der Islamischen Republik und ein guter gesellschaftlicher Ruf.
Über die Wählbarkeit und Fähigkeit des Expertenrats entscheidet der zwölfköpfige „Wächterrat“ – sechs Geistliche, die vom Religiösen Führer bestimmt werden, und sechs Juristen, die das Parlament auswählt. Da sowohl der Religiöse Führer als auch die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten zu den Konservativen gehören, sorgten sie dafür, daß die meisten Chatami-Anhänger nicht kandidieren dürfen – der Anlaß für die Demonstration am Dienstag.
Kambiz Behbahani
Thomas Dreger
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen