Liberalisierter Telefonmarkt goes Bremen: Telefon im Kabuff
■ Im Viertel macht ein Laden mit zwölf Telefonzellen bald seine Geschäfte
Der weiße Empfangstresen steht schon. Ebenso die zwölf Kabinen, in denen bald telefoniert werden soll, was der Hörer hält. Nur den Kabelsalat haben die neuen Betreiber noch nicht im Griff. Aber auch der soll am kommenden Wochenende gezähmt werden. Vor dem Steintor 81 soll nächste Woche ein „Telecafe“ mit zwölf Zellen für Einzelgespräche eröffnen.
Voraussichtlich von 9 bis 21 Uhr wird viel Betrieb in dem Telecafe mit Heißgetränke-Automat herrschen. Die Tresenkraft weist die Kabinen zu, erstellt die Verbindung und kassiert nach dem Gespräch ab. Hauptklientel werden AusländerInnen sein, die billig in die Heimat telefonieren wollen. In die Türkei beispielsweise soll tagsüber eine Minute telefonieren 89 Pfennig kosten, nach Pakistan 1,99 Mark und nach Indien 1,89 Mark. Die Telekom-Tarife liegen teilweise mehr als ein Drittel darüber. Telefonierer zahlen allerdings einen Grundbetrag von 1,50 Mark, zudem wird im 30 Sekunden-Takt abgerechnet.
Die ersten Telecafes wurden letzten Dezember in Frankfurt und Offenbach eröffnet. Das Konzept scheint aufzugehen: In mehr als 50 Städten bundesweit hat die Bochumer Median-Telecom GmbH inzwischen Lizenznehmer gefunden, die Telecafes eröffnet haben. Allein zehn davon gibt es bereits in Berlin. Bis zum Jahresende sollen 20 weitere Geschäfte dazu kommen, Ende 1999 soll es europaweit 150 Telecafes geben. Erhoffter Jahresumsatz der Median-Telecom für nächstes Jahr: 30 Millionen Mark.
Median-Telecom ist eine der Firmen, die von der Liberalisierung des Telefonmarktes profitieren: Erst im März 1996 gegründet, beschäftigt die Firma heute mehr als 20 Personen. Zum Geschäftsbereich gehören neben den Telecafes auch die Entwicklung von Telefon-Software und die Vermittlung von billigen Telefonleitungen für Großkunden.
Die Lizenznehmer der Median-Telecom tragen einen Großteil des unternehmerischen Risikos und können im Gegenzug im bestimmten Rahmen die Kosten für die Kunden selber festlegen. Median stellt die Einrichtung und technische Ausstattung für die Läden der Lizenznehmer. Die Telefonkapazitäten werden von Median zum Billigpreis von einem Telefondienstleister gemietet und an die Lizenznehmer weiter vermittelt – so entstehen die niedrigeren Kosten.
Nach drei bis vier Monaten, so verspricht Median potentiellen neuen Ladenbetreibern, wird in einem Durchschnittsladen 50.000 Minuten pro Monat telefoniert, das entspricht rund 400 bis 600 Verbindungen am Tag. Bei einem mittleren Preis von 1,40 Mark pro Minute rechnet sich das Geschäft dann für Ladenbetreiber und Lizenzgeber. cd
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