: Frau Müller ist Frau Lafontaine
Christa Müller ist nicht nur mit Oskar Lafontaine verheiratet, sondern auch eine Wirtschaftsexpertin, die ihre Meinung sagt. Weil sie damit nicht das klassische Bild der Politiker-Ehefrau erfüllt, werden ihr Machtgelüste vorgeworfen ■ Von Georg Löwisch
Berlin (taz) – Eigentlich war sie schon lange verdächtig. Denn Christa Müller, Frau von Oskar Lafontaine, paßte nicht ins vertraute Bild, das Mittfünfziger in deutschen Redaktionen und Parteibüros von einer „Politikergattin“ haben: eine Diplomvolkswirtin, die sich mit politischen Fragen jenseits der Krötenwanderungsproblematik beschäftigt? Die gemeinsam mit ihrem Mann die Streitschrift „Keine Angst vor der Globalisierung“ schreibt? Wo gibt's denn so was!
Doch glücklicherweise offenbarte Christa Müller auch Eigenschaften, die zur Beruhigung beitrugen. So gab es harmonische Familienfotos mit Oskar und Sohn Carl-Maurice. Müller, so erfuhren die Reporter, sucht gerne Pilze (kocht allerdings am liebsten Trüffel). Und statt öffentlich nur über harte Politik zu theoretisieren, traf sie sich auch mal bei Cosmopolitan zum Gespräch mit Doris Schröder- Köpf, um zu rekonstruieren, wann die beiden einander „wahrgenommen“ hätten.
Doch in den vergangenen Tagen hat die 42jährige die vertrauten Vorstellungen dermaßen gesprengt, daß die Welt konstatierte, diese Frau sei „kein freundliches Spätzchen“, die Süddeutsche Zeitung ihr „Machtgelüste“ vorwarf und Bild sowie Bild am Sonntag gleich an zwei aufeinander folgenden Tagen auf der Titelseite fragten, wie stark der Einfluß der „Frau Lafontaine“ denn schon sei. „Ziemlich groß, steht zu befürchten“, wetterte da schon längst die Berliner Morgenpost.
Anlaß war eine Fernseh-Talkshow vor einer Woche. Müller schlug vor, die Politik der Europäischen Zentralbank und der Bundesbank müsse stärker kontrolliert werden. In den USA sei der Notenbankpräsident verpflichtet, seine Politik vor dem Parlament zu rechtfertigen. Da dürfe die Politik der Notenbanken hierzulande „nicht sakrosankt sein“.
Zur folgenden Diskussion über die Unabhängigkeit der Währungshüter kam mit kurzer Verzögerung die Debatte darüber, was Müller aufgrund ihrer Ehe mit dem Bundesfinanzminister nun sagen dürfe und was nicht. Zumal sie am Sonntag gemeinsam mit Lafontaine im ZDF auftrat. Dort äußerte sie sich nicht nur zur Finanzpolitik, in der man ihr „Kompetenz nicht absprechen kann“, wie die Nachrichtenagentur dpa zähneknirschend einräumte, sondern auch zur Machtaufteilung zwischen ihrem Mann und Gerhard Schröder.
„Jetzt redet sie schon im Fernsehen mit“, zischte Bild. „Machtfaktor Christa“, erklärte die B.Z.: „Wird Deutschlands Finanzpolitik im Ehebett entschieden?“ Politische Gegner wie der Unternehmensberater Roland Berger versuchen es hingegen mit Namensspielchen: „Dies ist eine Reform von Christa Müller für Lieschen Müller“, sagte Berger zu den Steuerreformplänen der Regierung.
Derartige Versuche, die Wirtschaftsexpertin als Dummchen abzutun, beschreiben ziemlich gut das Bild von Politikerfrauen. Unvergessen sind etwa Marianne von Weizsäcker, die mit Blusenschleife vor Blumensträußen fürs Müttergenesungswerk wirbt, oder die sächsische Landesmutter Ingrid Biedenkopf mit ihren Kochbüchern. Einzig die Frau des Wirtschaftsministers Karl Schiller, Etta Schiller, vertrat in den 70er Jahren öffentlich ihre Ansichten, wurde dafür allerdings als vorlaute Schwätzerin abgetan. Hannelore Kohl durfte zwar das Zehn-Punkte-Einheitsprogramm ihres Mannes auf der Schreibmaschine tippen und anschließend redigieren, aber im Gegensatz zu Lafontaines Frau weiß sie nichts vom Nikkei- Index.
Christa Müller ist insofern einmalig. Ihre Ansichten, daß die deutsche Wirtschaft weniger eine Globalisierung als eine Europäisierung erlebe oder daß die Arbeitslosigkeit halbiert werden könne, will sie auch öffentlich vertreten. Dabei sieht sie sich als „fachliche Mitarbeiterin der Partei“, wie sie einmal sagte. Und Oskar Lafontaine höre schließlich auch auf andere Fachleute der Partei: „Ich bin so ein Fachleut.“ Allerdings weiß Müller auch um das Rollenproblem, wie es etwa Hillary Clinton anfangs gehabt habe.
Vielleicht hilft da ein Spruch von Etta Schiller aus den 70er Jahren. Als Frau eines Politikers sei sie „eine Mischung aus Dompteur, Irrenarzt, Chefberater und Krankenpfleger“. Vielleicht kann die Frau eines Politikers aber auch etwas anderes sein: Politikerin.
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