Kommentar: Polizei kneift
■ Demokraten gelten als Sicherheitsrisiko
„Das Entscheidende war, daß wir in der Reichshauptstadt Flagge zeigen konnten“, durfte NPD-Aktivist Holger Apfel am Samstag triumphieren. Recht hat er: Daß es nur 350 statt 1.000 Neonazis waren, die in Tegel aufmarschierten, tut dem Erfolg keinen Abbruch.
Denn mit dem Marsch auf die JVA sind rechte Aufmärsche auch in der Bundeshauptstadt endgültig Normalität. Erschreckend sind dabei nicht die Teilnehmerzahlen: Wer die aus Brandenburg, Thüringen und Hamburg zusammengekarrten Hinterhofclowns aus der Nähe betrachtet hat, der muß vor einem Vierten Reich noch keine Angst haben. Gefährlich sind sie für ihre Opfer auf der Straße, politikfähig noch lange nicht. Nach dem mit 0,3 Prozent enttäuschenden Abschneiden bei den Bundestagswahlen dürfte der Spuk dazu gedient haben, den harten Kern bei der Stange zu halten.
Relativiert wird diese Entwarnung durch die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit. Gerade 500 bis 1.000 Menschen fanden sich ein, um die vielbeschworene „Zivilcourage“ zu zeigen, peinlich für eine Millionenstadt. Die wenigen, die überhaupt zum Ort des Geschehens kamen, übten sich in hilflosem Schweigen. Ein Bild der Ohnmacht der Demokraten, das allerdings seine Ursache in den Hütern der Demokratie hatte: Wer friedlich sein Mißfallen zum Ausdruck bringen wollte, fiel sofort den polizeilichen „Sicherheitsmaßnahmen“ zum Opfer. Diese richteten sich nicht gegen den Hitler-Fanclub auf der Holzhauser Straße, sondern gegen die Gegner der NPD. Daß die Beamten gleichzeitig Augen und Ohren bei Hitler- Gruß und Deutschlandlied zukniffen, ist nicht neu, macht die Sache aber keinesfalls besser.
Nicht der Protest gegen Rechtsextremisten macht die vielzitierten „Weimarer Verhältnisse“ aus, sondern die Protektion der Innenbehörden für die Ewiggestrigen, die sich allzu oft unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verbirgt. Das Verdienst der Polizei ist es jedenfalls, daß die Rechten bis zuletzt ungestört von jeglichem Widerspruch Flagge zeigen durften. Am Ende verließ ein gespenstischer Zug die Stadt – ein Konvoi von Polizeifahrzeugen und Bussen der Neonazis. Als Schlußlicht wehte die schwarz-weiß-rote Fahne. Andreas Spannbauer
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