: Die Lust in falschen Schränken
Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Kultur: Akkurat pflegt Sabine Fromm ihre Theatertradition und hat, pünktlich zum 25jährigen Jubiläum des Kleinen Theaters, trotzdem Grund zu klagen ■ Von Elisabeth Wagner
Die Theaterwelt der Sabine Fromm ist rund und geschlossen. Die Prinzipalin liebt ihr Kleines Theater. So, wie es ist. Ein Eckhaus in ruhiger, bürgerlicher Wohnlage am Südwestkorso, wo es viele ältere Damen mit Pudel gibt. Ein ehemaliges Kino, das 99 Sitzplätze hat und einen Spielplan en suite. Seit 25 Jahren hält dieses Haus als Privattheater weitestgehend ohne staatliche Zuschüsse durch. Wobei es mittlerweile tatsächlich um das schiere Durchhalten geht.
Denn es gab bessere Zeiten für das Kleine Theater. Viel bessere. Als es nicht bloß 20, sondern noch 28 Vorstellungen im Monat gab und zusätzliche Schließtage unnötig waren. Außerdem hatte man ständig hohen Kritikerbesuch. In Reihe 8, auf Platz 8 saß der Theaterkritiker Friedrich Luft. Er kam, nahm das Kleine Theater von Anfang an wichtig und lobte zur Eröffnung die „neue und besonders reizvolle Farbe“, die dem „sonst kaum vielartigen Spektrum der Berliner Bühnen“ durch dieses Theater zugewachsen sei.
Nach jeder Premiere war man fortan in der „Stimme der Kritik“. Sonntags um viertel vor zwölf. Dagegen ist „jetzt jede Fotoausstellung im letzten der Hackeschen Höfe wichtiger als ein neues Stück bei uns“. Über die Inszenierungen ihres Theaters liest Sabine Fromm nur noch hinten in der Zeitung: „in der Form irgendeines Zwölfzeilers“. Der Bedeutungsverlust ist herbe. Selbst wenn sich die stets auf Etikette bedachte Prinzipalin eine verbitterte Miene verkneift und ihre wohlgesetzte Sprache in jedem Ton diskret bleibt, hört man diesen Sätzen die Kränkung an. Nicht mehr wahrgenommen zu werden tut eben weh.
Da helfen auch alle Stammgäste aus dem Berliner Westen wenig. Nach 25 Jahren geht es dem Kleinen Theater nicht mehr allzu gut. Aufwendigere Inszenierungen etwa, die Sabine Fromm zunächst noch ganz ohne Zuschüsse verwirklichen konnte – 1974 etwa „Glöckner von Notre-Dame“ –, kann sie sich schlicht nicht leisten.
Angefangen hatte es furios. Am 17. Mai 1973 hatte die erste Produktion der damals noch freien Gruppe um Sabine Fromm ihre Uraufführung im 1965 gegründeten Reichskabarett in der Ludwigkirchstraße. Das Stück hieß „Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur“ und war ein voller Erfolg. Auf einer Bühne mit Plüsch und falschen Schränken wurde komisch-tragisch deklamiert und wollüstig übereinander hergefallen.
Luft amüsierte sich prächtig und riet entschieden zum „Hingehen!“ Und die Leute gingen hin. Bei anhaltender Sommerhitze war der Laden voll, und die Telefone klingelten über Wochen. Der Schritt zur eigenen Theatergründung hätte für sie nahegelegen, sagt sie und kokettiert – während wir in einem winzigen Arbeitszimmer gleich hinter der Requisite sitzen und sie eine Zigarette nach der anderen raucht – ein bißchen mit der eigenen Risikolust. Immerhin ist bei dieser Aktion ihr komplettes Erbe draufgegangen.
Es war außerdem eine Befreiung von väterlichen Ansprüchen. Künstler habe ihr Vater, der Urheberrechtler und Künstleranwalt Friedrich Karl Fromm, nur „als eine wunderbare Bereicherung seines Privatlebens“ betrachtet. Freie Ambitionen, was den Alltag und gar das Berufsleben anbelangt, waren ihm dagegen nicht geheuer. Sabine Fromm ist heute noch sicher, daß sie sich gegen seinen Willen nicht durchgesetzt hätte. Ihre Selbständigkeit im Theater, bemerkt sie, hätte zu Lebzeiten des Vaters „niemals stattgefunden“.
Als der Vater stirbt, ist sie 22, sie lebt in München, dann in Wien, wo sie den Schweizer Pierre Badan kennenlernt. Er schreibt, übersetzt. Beide bewerben sich, reichen Stücke bei verschiedenen Häusern ein. Dann fängt sie erst einmal beim Boulevard in Köln an. Wo sie es nicht lange aushält. „Rechts 'ne Tür, links 'ne Tür und in der Mitte ein Sofa.“ Sie war es schließlich leid, „für den Direktor die passenden Rollen zu suchen“ und Programmhefte zu verfassen, in denen es vorzugsweise um die Reihenfolge der Namensnennung ging.
Die 51jährige liebt es, auf heiteren Formulierungen über Schwierigkeiten hinwegzugleiten. Auch wenn sie dabei die Dinge ins Possierliche rückt. Daß sie sich als Autorin versteht, Stücke, Musikrevuen entwickelt (in diesem Jahr „...schon wieder Du, Mary Lou!“), Lesungen macht und eigentlich sehr bestimmte Ansichten über die Dinge des Theaters hat, würde sie niemals betonen. Es widerspricht ihrer mütterlichen Rolle, von der sich nicht ohne weiteres sagen läßt, ob sie selbstgewählt oder einfach akzeptiert ist. Sich bloß nicht zu wichtig nehmen, heiter sein und höflich. Ihre Großmutter habe ihr immer gesagt: „Der Friedhof ist voll von unersetzlichen Menschen.“
Entsprechend lenkt Sabine Fromm im Gespräch die Aufmerksamkeit konsequent auf andere. Auf ihre Mitarbeiter, die im „Kleinen Theater“ von der Kassiererin bis zum Mann an der Bar alle gleich mehrfach Aufgaben übernehmen müssen, auf die Zuschauer, die wie Johanna seit 18 Jahren die Vorstellungen jeweils bis zu 38mal besuchen. Andauernd auf Pierre Badan, von dem sie sagt, daß er der „Erfinder“ dieses Spezialitäten-Theaters sei. Ihr Leben und ihr Theater haben für die Berlinerin vor allem mit einer großen Nähe zu tun, einem Wohlwollen, das sich auf alles überträgt, was nur in ihre Umgebung kommt.
Sie betrachtet jede komische, traurige, lamentierende oder kalauernde Figur auf der Bühne mit derselben emphatischen Aufmerksamkeit. Selbst wenn es schief wird, wie an mancher Stelle der neuen Produktion „Eine Nacht im Elysée“, einem mühevoll dahinlavierenden Dialog zwischen einem sentimentalen François Mitterand und einer tolldreisten Maggie Thatcher, ist dieses grundsätzliche Einverständnis noch spürbar. Die Figuren ihres Theaters dürfen sich beschützt fühlen, und es liegt ein Stück Selbstbehauptung darin, wenn jeder ihrer cholerischen Sätze, jedes nebensächliche Detail zählt. Handtaschen, Cognacschwenker, die Perücke einer Kurtisane oder der Degen eines Edelmanns. Sabine Fromm will sich ein barockes Liebespaar nicht ohne das entsprechend barocke Kostüm vorstellen. Sinnlich, konkret soll das Theater sein, ein vergnügliches Spiel der Typen. Badan bringt zu diesem Zweck das Wissen um das Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts mit.
Die meisten der Aufführungen des Spielplans speisen sich in ihrer kleinteiligen Verspieltheit aus der Lust an einer kuriosen Welt der historischen Verkleidung. Possierliche Dramolette (nach August von Kotzebues Lustspiel „Die deutschen Kleinstädter“, 1979), parodistische Schauerstücke („Lucrezia Borgia“, 1981 und 1994) und rüschengeplusterte Lustbarkeiten (“Liebeslohn“, 1997) – Badans Inszenierungen schwelgen im Unterhaltungswert des Profanen.
Wobei diese Arbeit etwas durchaus Philologisches und Penibles hat. Auch das gehört zu den Gesetzmäßigkeiten des Kleinen Theaters: Daß es sich in allem, was es tut, rührend ernst nimmt. Wie kommt es sonst, daß Sabine Fromm ihren größten Erfolg ziemlich kritisch beurteilt. Ihre musikalische Revue „Das Küssen macht so gut wie kein Geräusch“, die es seit ihrer Premiere im Juni 1986 auf über 2.000 Vorstellungen gebracht hat, bewertet die Prinzipalin nachträglich als einen Bruch in der eigenen Theaterchronik. Hier fing es an mit dem Nicht-mehr-ernst-genommen-werden, dem Abschied von der Aufmerksamkeit.
Den aber will sie nicht hinnehmen. Die eigene Arbeit soll wieder ein Gewicht bekommen. Wenn es sein muß, geht sie dafür sogar tingeln. Außerdem ist es mit dem Aufhören so eine Sache. Dazu bräuchte man Geld. Wenn man denn überhaupt wollte.
Kleines Theater, am Südwestkorso 64 in Schmargendorf, Telefon: 8212021
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