: Sex mit Indianern
■ Der Bremer TV-Journalist Wilfried Huismann über die fast unglaubliche Geschichte der Marita Lorenz, die Lust am Erzählen und die Marktchancen des investigativen Journalismus
Mit seinem Film „Das Totenschiff“ hat er eine bedrückende Bestandsaufnahme der heutigen Seefahrt gezeichnet, und mit den Fernsehdokumentationen „Die Schuld an der Vulkan-Pleite“ und „Machtspieler“ hat er zusammen mit Klaus Schloesser die Chronologie des größten deutschen Werftenkonkurses rekonstruiert. Doch jetzt nimmt der Bremer Fernsehjournalist Wilfried Huismann für eine Weile Abschied von der investigativen Dokumentation. Der 1951 geborene Reporter und ausgebildete Lehrer will die Geschichte der Bremer Kapitänstochter Marita Lorenz erzählen. Was daran spannend ist, schildert Huismann im taz-Interview.
taz: Warum beantragt jemand wie Wilfried Huismann Filmförderung?
Wilfried Huismann: Weil er zum ersten Mal in seinem Leben einen abendfüllenden Dokumentarfilm drehen will. Und zwar auf Film und nicht auf Video.
Der Film soll ins Kino?
Programmkino. Aber auch für's Fernsehen ist Film besser. Es ist nur so teuer. Ich versuche diesmal, eine private Produktionsfirma zu finden. Wenn man allein auf Filmförderung wartet, vergeht zu viel Zeit, und ich will anfangen, auch weil Marita Lorenz jetzt Lust hat.
Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
Sie ist 1959 auch in Deutschland schon mal durch die Presse gegangen. Nach ihrer Liebesaffaire mit Castro und nachdem sie ihr Kind verloren hat, ist Marita Lorenz von der CIA bearbeitet worden. Damals hat die CIA eine Kampagne gemacht, aus der hervorgeht, daß Castro ein Kindsmörder ist und diese arme, schöne Kapitänstochter aus Deutschland erst entführt und dann vergewaltigt hat. Das war die Story, die auch der Stern von einem amerikanischen Magazin namens Confidential Magazine übernommen hat. Der Artikel war mit dem Namen ihrer Mutter unterschrieben. Doch tatsächlich hat Frank Sturgis, ein CIA-Kontraktagent, den Artikel geschrieben. Man hat mit ihr eine Gehirnwäsche gemacht, die die Massenmedien einbezog. Marita konnte ihre Geschichte in der Zeitung lesen – mit Fotos von irgendeinem verstümmelten Fötus.
Später, 1976, gab es in den USA einige Veröffentlichungen, weil Marita ihren ehemaligen Anleiter Frank Sturgis vor dem Kongreßuntersuchungsausschuß zum Kennedy-Mord belastet hatte. Sie hat nachgewiesen, daß Sturgis und andere aus dieser exil-kubanischen Söldnertruppe am Mordtag in Dallas gewesen waren. Aus Rache hat Sturgis Marita Lorenz auffliegen lassen. Damit war sie ihren neuen Job los: Beim FBI als Spionin gegenüber der sowjetischen UNO-Vertretung. Das war relativ sauber und ihr erster bürgerlicher Job.
Ich selbst habe von einem Kuba-Experten von der Geschichte erfahren. Der hatte davon schon in Kuba gehört. Denn das ist eine so ungewöhnliche Geschichte, daß sie auch dort zirkuliert.
Haben Sie Marita Lorenz schon kennengelernt?
Ja. Das erste Mal habe ich sie im November 1997 getroffen. Den ersten telefonischen und brieflichen Kontakt hatte ich 1995. Der ist dann wieder abgebrochen, und ich dachte auch, diese Geschichte ist so verrückt, die kann gar nicht stimmen. Als ich im letzten Jahr in den USA war, habe ich sie schließlich doch getroffen. Diese Begegnung war so, daß wir beide das Gefühl hatten: Jetzt kann sie mir ihre Lebensgeschichte erzählen.
Was ist sie für eine Frau?
Sie ist jetzt sehr arm und nimmt viele Medikamente. Sie ist nach meinem Eindruck nicht sehr glücklich, sie ist einsam, ein bißchen bitter. Sie ist sauer auf ihre ehemaligen Arbeitgeber, weil sie aus ihrer Zeit, in der sie für die CIA tätig war, keine Rente bekommt mit dem Argument, daß sie ihren Hauptauftrag, Castro zu töten, wissentlich verpatzt hat. Deshalb kriegt sie nur 600 Mark Sozialhilfe. Sie wirkt sehr stark – trotzdem. Sie ist sehr charismatisch und nimmt einen sehr schnell für sich ein. Sie wirkt ein bißchen verlebt, aber das klingt zu negativ. Sie hat etwas sehr magnetisches und zieht Menschen an sich – vor allem die Unterwelt. Wo sie auch hinging, ist sie immer wieder in gefährliche Situationen geraten. Sie hat immer im Extremen gelebt und brauchte das auch.
Sie schreiben in Ihrem Exposé für den Film selbst, daß Sie an manchem zweifeln. Wie wollen Sie diese Geschichte erzählen?
Wir werden uns erstmal kennenlernen. Das wird ja eine sehr intensive Zusammenarbeit. Und ich habe das Gefühl, daß sie an einem Punkt ihres Lebens angekommen ist, an dem sie kein Interesse daran hat, einen neuen Lebensroman zu erfinden, sondern – soweit sie es selbst noch weiß – bei der Wahrheit bleibt. Sie hat selbst schon Sachen korrigiert, die in einer Autobiographie erschienen sind. Als sie vom venezuelanischen Geheimdienst im Urwald bei kannibalischen Indianern abgesetzt worden war, hat sie keinen Sex mit einem dieser Indianerhäuptlinge gehabt. Das hat sie mir auch erklärt: Der Verleger der Memoiren hat gesagt, das muß da rein, das verkauft sich besser. Damals war ihr das egal.
Sie machen seit über zehn Jahren Filme. Wird's nicht mal langsam Zeit für einen ruhigen Bürojob?
Nein, das reizt mich nicht. Dann wäre ich nur mit Rundfunkbeamten zusammen. Das ist ja wie ein Biotop. Dann kann man keine Geschichten mehr entdecken. Doch genau das macht mir einfach Spaß.
Was ist der Reiz daran, sich auf die Lauer zu legen, um jemanden aufs Bild zu kriegen?
Bei der Marita-Konrad-Geschichte geht es nicht um Enthüllungen. Aber bei den anderen Themen, die ich im Rahmen der Reihe „Gesucht wird“ gemacht habe, geht es um investigativen politischen Journalismus. Das habe ich schon mit der Vorstellung gemacht, daß ich die Welt verändern, beeinflussen oder verbessern kann. Diese alte Vision von 1968 habe ich behalten. Auch beim Fernsehen. Man erreicht ja doch sehr viele Menschen. Inzwischen ist mir klar, daß man nicht allzuviel damit erreicht, aber ein bißchen (lacht). Ich achte jetzt mehr auf die Form, und da kann man sich bei einer so abseitigen Geschichte viel besser entfalten. Das ist ein anderer Reiz als der detektivische. Aber ich wollte als Kind schon Detektiv werden. Als kleiner Junge habe ich Abhöranlagen gebaut und bei den Nachbarn im Blumentopf eingesetzt.
Gab's da was zu entdecken?
Immer. Vor allem, wenn die über mich geredet haben.
Was bedeutet Gefahr für Sie? Gab es gefährliche Momente?
Die wirkliche Gefahr sieht man nicht. Es gab oft Drohungen. Aber Leute, die drohen, sind meistens nicht gefährlich. Gefährlicher ist es, wenn Opfer des investigativen Journalismus überhaupt nichts sagen. Richtig gefährliche Sachen mache ich aber nicht. Um Kriegsgebiete mache ich einen Riesenbogen.
Was ist Ihr wichtigster Film?
„Das Totenschiff“. Es war einerseits eine ganz persönliche Geschichte. Da ging es um zwölf Menschen, die wegen der Habgier eines Reeders gestorben sind. Ich habe die Familien alle kennengelernt. Und es war gleichzeitig eine sehr allgemeine Geschichte, weil fast jeden Tag so etwas passiert. „Das Totenschiff“ ist eine Parabel auf die Zustände der Seefahrt, die wieder so sind wie in der Zeit, als B. Traven sein Totenschiff schrieb. „Das Totenschiff“ ist auch der Film, der am längsten gedauert hat. Die meisten Filme im Fernsehen sind nach Ende der Sendung schon tot, weg. Doch auf „Das Totenschiff“ bekomme ich noch heute Resonanz
Die beiden Filme über die Pleite des Bremer Vulkan waren eine ganz andere Geschichte?
Ja. Ich hatte da auch keine rechte Lust am Anfang. Das ist ein sehr dickes Brett, durch das man sich da bohren muß. Dieses Fachchinesisch der Betriebs- und Volkswirte oder der Steuer- und Wirtschaftsprüfer. Diese ganzen Berichte muß man erstmal verstehen, auch wenn man sie später nicht darstellt. Nach drei Stunden mit dem Ex-Vulkan-Vorstand Friedrich Hennemann weiß man nicht mehr, ob man den Kopf unten hat oder oben. Aber als Radio Bremen und Klaus Schloesser dazukamen, ging es besser. Und ich hab jetzt mehr von Wirtschaft verstanden. Ich habe weniger Respekt vor Managern, weil mir klar ist, daß da ganz viele Feiglinge und Dummköpfe herumlaufen, die sich selbst nicht auskennen, und das ist nicht nur beim Vulkan so.
Wollen Sie ein bißchen über die Verflachung des deutschen Fernsehens jammern?
Nein. Vieles ist schlechter und vieles besser geworden. Beim Fernsehspiel ist die Qualität auch bei den Privaten stark gestiegen. Bei Reportagen ist das Niveau auch stark gestiegen. Entgegen anderslautender Meinung führt die Masse der Programme nicht zu einer Verminderung von Qualität. In meinem Sujet investigativer Journalismus in Form von längeren Dokumentationen ist aber abgebaut worden. Wir setzen uns dafür ein, daß sich das wieder ändert.
Wie sind die Erfolgsaussichten?
Noch nicht konkret. Das liegt nicht nur an der Entwicklung in der Bundesrepublik. Es gibt auch in den Chefetagen Programmmanager, die merken, daß man mit guten politischen Dokumentationen auch weltweit auf den Markt gehen kann. Nachdem das ZDF das mit zeithistorischen Themen erfolgreich macht, wacht auch der eine oder andere in der ARD auf. Aber die Einschaltquoten spielen in der Diskussion natürlich auch eine Rolle, und die sind zurückgegangen. Vielleicht liegt es auch daran, daß wir politische Dokumentationen zu langweilig, zu trocken, zu didaktisch machen. Das Gefühl habe ich manchmal.
Unter welchem Druck steht das Magazin Monitor?
Unter dem Druck einer schrumpfenden Fangemeinde.
Fragen: Christoph Köster
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