: Berti als Wille und Vorstellung
Mit seinem „Tatort“-Auftritt will Berti Vogts zur geläuterten Kunstfigur werden. In Wahrheit wird er überführt als Mörder am deutschen Fußball. Eine Analyse ■ von Peter Unfried
Berti Vogts ist schuldig. Das sagt er ja selbst. Immer wieder. Nach einer Phase stiller Trauerarbeit hat der ehemalige DFB-Trainer ostentativ das Büßertrikot übergestreift und ist damit durch diverse TV-Sendungen getingelt.
Vogts (52) hatte eine Marketingoffensive zur Etablierung des geläuterten Berti dringend nötig, nachdem er am 7. September 1998 von einem überwältigenden Volksvotum aus dem Amt des Trainers der DFB-Fußballer gewischt worden war. Die Deutschen hatten die Nasen gestrichen voll von Berti, der die mediokren DFB- Fußballer bei der WM zwar immerhin noch ins Viertelfinale gecoacht hatte. Doch dabei war er aber durch eine Kette von Stillosigkeiten, politisch bedenklichen Äußerungen und schließlich die Konstruktion einer globalen Verschwörungstheorie dem Land am Ende recht peinlich geworden.
Bertis Fazit, auch noch nach dem Rücktritt: Die Medien sind schuld. Nicht er. Tatsächlich hatte speziell Bild den dankenswerterweise die Kollaboration verweigernden DFB-Trainer gejagt wie selten zuvor einen. Vogts sah sich nur noch von Feinden umzingelt und machte vor seiner letzten, der Malta-Reise sogar noch einen Canossa-Gang in die Bild-Zentrale. Viel zu spät, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Und zu diesem Zeitpunkt wollte sein dauerbeleidigtes Gesicht eigentlich auch anderswo niemand mehr sehen.
Nach seinem Abgang hat Vogts erstmals versucht, sich die Medien zunutze zu machen. Wo er auftrat, verkündete er vordergründig stets dasselbe: Vergeßt das Monster des Sommers! Ich bin's doch nur. Der kleine, liebe, lustige, harmlose Berti. Er hat sich bei Biolek selbst gepeitscht, sich in Kerners Jahresrückblick kasteit. Er findet Sat.1 „unheimlich toll“ und hat sich sogar in eine Küche stellen lassen mit einem lustigen Hut – es war wieder fast wie vor all den Jahren in einer besseren Welt, als er mit Ilja Richter scherzte. Stets bereut er ein wenig, und schließlich spricht der Schlußbeifall des Studiopublikums den gläubigen Kleinenbroicher los von seinen Sünden.
Doch die Vollendung der Läuterung eröffnet ihm erst die Rolle im ARD-Tatort „Habgier“ (morgen, 20.15 Uhr): Er kann, scheinbar, die Figur des neuen, von der WM-Schuld gereinigten Berti auf eine fiktionale Ebene heben. Berti spiele, so deutet das etwa die Fachzeitschrift TV Spielfilm, „im Grunde sich selbst“, nämlich einen „liebenswert-schüchternen Nachbarn“. „Mehrere Seiten Text“ hatte Vogts zu lernen, und der akribische Arbeiter hat sie, wie Regisseur Jürgen Bretzinger konstatierte, „alle perfekt beherrscht“.
Die Frage aber stellt sich: Ist Berti tatsächlich nur ein „freundlicher Nachbar“, der Kaninchen streichelt und sagt: „G'n Abend. Das ist doch euer Kaninchen“? Der „Tatort“, der sich an der Oberfläche mit ganz anderem beschäftigt, ist voller Anspielungen. An einer Türklingel steht scheinbar unmotiviert der Name „H. P. Vogt“. Einmal sieht man im Hintergrund einen Jungen beim Versuch, den Ball zu jonglieren. Er schafft es gerade dreimal – dann springt der Ball davon. Offenbar wird hier ein Subtext geschaffen, in dem Bezug genommen wird auf die trostlose Gegenwart des deutschen Fußballs und insbesondere dessen Defizite in der Jugendarbeit. Einmal sagt ein Vater zu seinem Sohn: „Komm', wir lassen einen Drachen steigen und gehen Fußballspielen.“ Aber dieser deutsche Junge ist so schwer traumatisiert wie der deutsche Fußball. Nie mehr wird er unbeschwert spielen. Als dem Nachbarn gegen den psychisch kranken Jungen beim Tischfußball ein Tor gelingt, lacht Berti zweimal häßlich auf.
Wer ist schuld? Wer hat den deutschen Verbandsfußball umgebracht? Kommissar Paul Stoever (Manfred Krug) kriegt den Täter. Das heißt: Dieser stellt sich. In einer Szene muß der Nachbar scheinbar unmotiviert verkniffen lächeln und rätselhaft mit der Linken dem ihm unbekannten Kommissar zuwinken. Erst später wird klar, daß das nur eine Selbstanzeige sein kann: „Ich war's.“
Am Ende kommt es zum Showdown. Krug bringt das Dilemma in Gegenwart des Nachbarn zur Sprache, als er feststellt, heutzutage sei es „ja schon schwer, gegen die Türken zu gewinnen“. Der Nachbar (barsch und plötzlich wieder ganz der alte Berti): „Was?“
Dann schwingt er sich zu einem Showdown-Monolog auf und sagt einem Jungen: „Na, wenn du Fußballer werden möchtest, paß' in der Schule auf, lerne einen anständigen Beruf, denn sonst geht es dir wie mir. Ich mußte, nachdem ich Profi war, weiter als Trainer arbeiten. Und das war verdammt hart.“ Dieser Nachbar ist kein Nachbar. Das ist Berti – eins zu eins! Da muß Stoever richtig lachen. Eine „große Portion Humor“ hat Produzent Richard Schöps Berti attestiert. Doch der spielt ja nicht.
„Es ist ja normal in Deutschland, daß ich an allem schuld bin“, sagt er gern und tut, als sei es ein Witz. Er findet's aber nicht lustig. Im Gegensatz zu seinem Vorbild, das er nun „Herr Doktor Kohl“ nennt, kriegt Berti den Abgang nicht hin: Er kann nie verschweigen, daß die anderen schuld sind, insbesondere sein ehemaliger Freund, der DFB-Pressedirektor Wolfgang Niersbach.
Hat der „Tatort“ Berti hereingelegt? Anfangs hat er schon scheinbar uninspiriert sagen müssen: „Manche Leute arbeiten im falschen Beruf.“ Am Ende versteht man: Hätte Berti einen anständigen Beruf erlernt (wobei nicht bewiesen ist, daß Werkzeugmacher kein anständiger Beruf ist), statt im falschen zu arbeiten, wäre ihm viel erspart geblieben.
Uns auch.
Doch Krug verhaftet den Täter nicht. Er lacht und trinkt sein Bier aus. Damit bekräftigt er die Botschaft der Deutschen: Berti war's, aber ist ja egal. Berti aber dreht sich um zu Krug und schaut indigniert. Es ist schauspielerisch gesehen die beste Szene des Nichtschauspielers Vogts – es ist das alte, tausendfach eingeübte Berti-Gesicht. Alles ist echt. Man wartet, daß er noch hinterherschreit: „Nicht ich bin's gewesen.“ Er, das ist die Botschaft, hat Deutschland nicht vergeben. Niemals.
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