: "Ich wäre bereit, zurückzutreten"
■ Bujar Bukoshi, seit 1992 Premierminister des Kosovo im Exil, beklagt die Zerstrittenheit der kosovo-albanischen Führung. Zur Überwindung der Differenzen schlägt er die Einberufung einer Nationalversammlun
taz: Das Massaker von Racak bringt die Frage eines Eingreifens der Nato wieder auf den Tisch. Es sieht jedoch so aus, als ob es bei verbalen Attacken auf Milošević bleibt.
Bujar Bukoshi: Wir haben immer die Internationalisierung des Konflikts gefordert, können aber nicht erwarten, daß die internationale Gemeinschaft allen unseren Positionen zustimmt. Für unsere vitalen Interessen müssen wir vor allem selbst eintreten. Die Mission der OSZE ist ein großes Experiment, kann aber ihre Aufgaben offenbar nicht erfüllen. Mit Sorge sehen wir, daß die serbische Seite alles tut, die Möglichkeiten der OSZE-Mission einzuschränken. So ist die Nato nach wie vor herausgefordert, nicht nur die OSZE- Mitarbeiter zu schützen, sondern auch die Bevölkerung. Das Mandat muß erweitert werden.
Die internationale Gemeinschaft spricht aber nicht nur mit einer Stimme, es gibt unterschiedliche Interessen unterschiedlicher Länder. Daß in manchen Hauptstädten Europas in den letzten Wochen davon gesprochen wurde, die UCK sei das Hauptproblem für einen Frieden im Kosovo, gab uns zu denken. Mit dem grauenhaften Massaker von Racak jedoch wird gezeigt, daß die Wahrheit letztlich nicht zu manipulieren ist.
Das Massaker ändert aber nichts an dem Umstand, daß die internationale Gemeinschaft Ihre Forderung nach Unabhängigkeit ablehnt.
Für uns gibt es ein Widerstandsrecht gegen eine unrechtmäßige Staatsmacht, wir halten an unserer Forderung fest. Man sollte bedenken, daß die Ablehnung unserer Forderung nach Unabhängigkeit gleichbedeutend ist mit einer Carte blanche für Milošević, seine Politik fortzusetzen. Die USA sehen inzwischen in Milošević das Hauptproblem der Krise. Dies ist ein Fortschritt. Die Albaner sind zu Kompromissen bereit, was den Zeitplan für die Realisierung der Unabhängigkeit angeht, um Blutvergießen zu vermeiden. Das Ziel jedoch wird nicht aufgegeben.
Die albanische Seite erschwert selbst Verhandlungen, denn inzwischen weiß niemand, wer eigentlich das Sagen hat: Präsident Rugova, die UCK, Adem Demaci oder Sie selbst?
Die internationale Seite ist da nicht ganz unschuldig. Man versucht albanische Politiker zu finden, die von der Forderung nach Unabhängigkeit abrücken könnten. Dies kann aber kaum gelingen, wenngleich diese Versuche einen Beitrag zu unserer Spaltung bedeuten. Wesentlich ist, daß wir Albaner unsere internen Probleme selbst lösen. Wir müssen zu tragfähigen Entscheidungsstrukturen kommen, um nicht untereinander ausgespielt zu werden. Jede Gruppierung muß immer das Interesse Kosovos im Auge behalten.
Die Lage stimmt dafür nicht optimistisch. Präsident Rugova wird vorgeworfen, sich einzuigeln, Oppositionsführer Adem Demaci will selbst Präsident werden, das im vorigen Frühjahr gewählte Parlament ist niemals zusammengetreten, die UCK tut, was sie will, und ist zudem im Inneren zerstritten, andere zivile Sektoren der Gesellschaft äußern sich kaum.
Sicherlich, wir stehen vor einer großen Herausforderung, wir haben eine militärische Organisation, eine neue Lage. Rugova hat gezögert, diese Herausforderung anzunehmen und zur UCK Verbindung aufzunehmen. Wir müssen aber die zivile mit der militärischen Struktur verbinden, wir müssen zu einer Einheit kommen.
Alle fordern das, aber niemand tut es?
Mit Bedauern muß ich feststellen, daß wir sehr viel Zeit verlieren, dieses Problem zu lösen. Die politischen und militärischen Führungen sind nicht auf dem höchsten Niveau, während die Bevölkerung bereit ist, alles für Kosovo zu geben. Nicht alle Motive der führenden Leute sind lauter, persönliche Empfindlichkeiten und Ambitionen stehen zu sehr im Vordergrund. Es ist höchste Zeit, daß man sich einigt, eine gemeinsame politische Plattform schafft, gemeinsame politische Institutionen bildet. Diese Institutionen müssen von allen Seiten respektiert werden, dann kommen wir einen Schritt weiter. Ich als Premierminister will alles dazu beitragen. Ich wäre bereit, sofort zurückzutreten, um den Weg für eine von allen getragene und respektierte Führung frei zu machen.
Mein Vorschlag ist, daß sich die Vertreter der Parteien zusammensetzen, einen gemeinsamen Nenner finden. Denn niemand kann allein alle nationalen Fragen lösen, weder Rugova noch die UCK. Man könnte eine nationale Versammlung einberufen, in der alle Parteien vertreten sind, auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, natürlich die Vertreter der UCK. Meine Regierung wird alles tun, um diesen Prozeß zum Erfolg zu führen. Man braucht Transparenz, man muß verantwortlich gegenüber der Bevölkerung handeln. Vor uns liegt noch ein langer Weg. Ohne tragfähige Struktur geht das nicht, wir müssen zu einer gemeinsamen Exekutive kommen. Wir brauchen demokratische Prozeduren, wir brauchen eine Führung, die von allen politischen Kräften respektiert wird. Interview: Erich Rathfelder
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