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Weniger Steuern für verheiratete Eltern

■ Bisher sind Eltern ohne Trauschein steuerlich bessergestellt. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß der Kinderfreibetrag für alle gleich hoch sein muß. Das wird den Bundeshaushalt über 20 Milliarden Mark kosten

Freiburg (taz) – Vor allem verheiratete Eltern können in den nächsten Jahren mit großen Steuernachlässen rechnen. Urheber der neuen familienfreundlichen Politik ist aber nicht die rot-grüne Bundesregierung, sondern das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Der Zweite Senat hat gestern eine Entscheidung bekanntgemacht, die den Bundeshaushalt mit mehreren Milliarden Mark belasten dürfte.

In zwei Stufen müssen die Steuerfreibeträge für verheiratete Eltern mit Kindern bis zum Jahr 2002 um insgesamt rund 9.600 Mark angehoben werden. Derzeit steht einem Ehepaar mit einem Kind nur ein Kinderfreibetrag von 6.912 Mark jährlich zu. Dieser wird entweder als Steuerfreibetrag gewährt oder – interessant vor allem für NiedrigverdienerInnen – als Kindergeld ausgezahlt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtige diese Rechtslage die Erziehungslasten der Eltern zuwenig.

Eltern, die Kinder erziehen oder durch Tagesmütter und ähnliche Einrichtungen erziehen lassen, seien in ihrer Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt und müßten daher steuerlich bessergestellt werden. In diesem Zusammenhang wurde das „Existenzminimum“ eines Kindes, das steuerfrei bleiben müsse, neu definiert. Hierzu gehöre nicht nur der unmittelbare Lebensbedarf, sondern auch Betreuungskosten durch die Eltern oder Dritte sowie sonstige Erziehungskosten wie die Anschaffung eines Computers, Geigenstunden oder das Jungschar-Ferienlager. Alle Kosten zusammen sollen jedoch pauschaliert werden, um das Steuersystem einfach und gerecht zu halten, so Karlsruhe.

Bisher konnten Betreuungskosten, die durch die Erwerbsarbeit der Eltern entstanden, nur von Alleinerziehenden geltend gemacht werden. Mehrere verheiratete Eltern hatten deshalb Verfassungsbeschwerde erhoben. Auch ein allgemeiner Haushaltsfreibetrag stand bisher nur nichtverheirateten Eltern zu. Dieser Freibetrag wird nun zum Ausgleich für allgemeine Erziehungsausgaben umdefiniert und allen Eltern zugesprochen.

In Bonn begrüßten SprecherInnen aller Parteien das Urteil als „Stärkung der Familie“. Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine (SPD) sagte, er sehe die Politik der Regierung bestätigt. Auch Klaus Müller, der Finanzsprecher vom bündnisgrünen Koalitionspartner, sah das Urteil ganz auf der Linie seiner Partei. Selbst Hannelore Rönsch (CDU/CSU), ehemalige Familienministerin, freute sich über die Ohrfeige aus Karlsruhe, die ja nun die neue Bundesregierung zu spüren bekommt.

Mit Steuerausfällen und erhöhten Kindergeldkosten in Höhe von rund 20 Milliarden Mark rechneten gestern bereits Bonner Regierungskreise. Vor allem die Bündnisgrünen waren schnell mit Finanzierungsvorschlägen bei der Hand. Ihre Fraktionsgeschäftsführerin Kristin Heyne forderte, die ohnehin geplante Einschränkung des Ehegattensplittings vorzuziehen und auszuweiten. Eine hälftige Aufteilung des Familieneinkommens auf beide Ehepartner solle nur noch bis zu einem Jahreseinkommen von 27.000 Mark zugelassen werden. Dies bringe Mehreinnahmen von jährlich 6,5 Milliarden Mark.

Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks (SPD) möchte die zusätzlichen Familienleistungen auf einkommensschwache Paare begrenzen. Dem hat allerdings das Bundesverfassungsgericht in seinen gestrigen Beschlüssen einen Riegel vorgeschoben. Das Einkommen der Eltern habe mit dem „Existenzminimum“ der Kinder nichts zu tun.

Berichterstatter war der bekannt phantasievolle Paul Kirchhof, der auch schon für das Maastricht-Urteil und die Zulassung von Out-of-area-Einsätzen der Bundeswehr verantwortlich zeichnete. Der Stuttgarter Verfassungsrechtler Rüdiger Zuck kritisierte die teure Familien-Entscheidung als „Entmündigung des Parlaments“. Christian Rath Bericht Seite 6

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