■ berlin spinnt: Schreiende Farben, meckernde Bilder
Mae West, das erste Busenwunder des Tonfilms und Hohepriesterin selbstbewußter Unbescheidenheit, hat es auf den Punkt gebracht: „Too much of a good thing“, bemerkte sie süffisant und stemmte dabei vermutlich eine Hand in die Hüfte, „too much of a good thing can be wonderful!“
Ähnliches scheint sich auch eine in Beverly Hills beheimatete Künstleragentur gedacht zu haben, als sie zu einer zwanglosen Matinee bei Blumen-Koch lud. Inmitten üppiger Floristenware, so war der Vorschau zu entnehmen, zeigt eine junge Künstlerin namens Jane del Rosario of Beverly Hills ihre Dschungelgemälde. Naive Kunst zwischen Ingwerblüten. Doch damit nicht genug: Die Bilder der Künstlerin sprechen den Betrachter nicht nur optisch an – man kann sie sogar hören: „Klammeraffen schreien, tropische Hähne kollern, Löwen und andere Wildkatzen brüllen, Papageien krächzen – die exotische Kollektion aus den Tiefen des Urwaldes schallt aufregend aus ihren Bildern. Eine perfekte akustische Kulisse passend zur Optik.“ Eine Trash-Show bei Blumen-Koch? Wunderbare Idee.
Schon durch die Schaufenster läßt sich erspähen, daß Jane del Rosario of Beverly Hills ein Faible für Grelles hat. Ihre Dschungelszenen, um die sich schon Gerald Ford, David Copperfield und Erich von Däniken gerissen haben sollen, entsprechen ziemlich genau dem, was man in Österreich als „gaggerlbunt“ bezeichnet: Türkis, Orange, Rot, Blau, Weiß und Grün in quietschendem Durcheinander.
Im Inneren des Ladens freilich umfängt einen eher Gemäßigtes. Aus unsichtbaren Boxen plätschert Zirpendes, Rufendes, Flötendes. Dagegen klingen Martin Dennys „Exotica“-Alben aus den fünfziger Jahren wild und brutal. Immerhin scheint sich die Crossdress-Szene für die Dschungelbilder zu interessieren: Ein mutig geschminkter Mittvierziger mit schulterlangem, schütterem Haar schiebt sich mit hochmütigem Blick durch die schmalen Gänge zwischen den Blumenkübeln. Hinter ihm ein kleines Mädchen, das plötzlich flüstert: „Mami, bleiben wir noch lange?“
Oh ja, Mami läßt sich von Herrn Blumen-Koch noch ein fruchtiges Tropengetränk reichen, und der Star des Tages, Jane del Rosario of Beverly Hills, steuert auf das Mädchen zu. „Schon wieder ein Kind mit blauen Augen! Wie heißt du denn?“ Natalie. „Wie hübsch!“ Natalie, zirka zehn, schaut argwöhnisch. „Komm, ich zeig' dir mal was. Oder hast du schon den Tiger gehört?“ Nee. Die Künstlerin steuert auf ein Bild zu, das vor Tieren nur so brummt.
Ein Bewegungsmelder, erklärt sie der nach wie vor skeptisch blickenden Kleinen, sorgt dafür, daß die Tiere auf dem Bild zu rufen anfangen. Natalie stellt sich vor das Bild, doch nichts passiert. Nur die zirpende Musik ist weiterhin zu hören. „Ich hör' nix“, sagt Natalie ungerührt. „Du mußt ganz nah rangehen.“ Natalies Nase berührt jetzt fast die Leinwand mit den grellen Farben. Nichts. Als sie sich enttäuscht umdreht, hat sich Jane del Rosario of Beverly Hills schon aus dem Staub gemacht. „Das funktioniert ja gar nicht“, mault Natalie gelangweilt und geht zurück zur transvestitischen Mami. Da meckert plötzlich ein Tukan hinter ihr her. Aber so dezent, daß es Natalie bestimmt nicht gehört hat. Das soll „Art brut“ sein? Reinhard Krause
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