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Gut geträumt, schnell gebaut

Auch in der Kultur dürfen jetzt alle mitmachen. Aber schon sind einige wieder gleicher als die anderen. Der Fall der Intendanten Thomas Langhoff und Dieter Dorn  ■ Von Petra Kohse

Es wird immer deutlicher: Schröderdeutschland soll ein Zupackdeutschland werden. Ein Deutschland voller Initiatoren und Teilnehmer. Schon werden doppelte Staatsbürgerschaft und der Ausstieg aus der Atomenergie auf Tagesordnungen gesetzt: Wann, wenn nicht jetzt, wer, wenn nicht wir! Auch im Kulturbereich wird kräftig zugepackt. Angespornt vom baldigen Staatsminister Michael Naumann sollen, so der Plan, wo sich ideenloser Oppositionswille und Bürokratismus bisher fest ineinander verbissen, in Kürze pragmatische Kreativwiesen blühen. Träumt euch was und malt es rasch – Integrationsmodelle statt endloser Debatten (Holocaust- Mahnmal), Mehrfachnutzung statt Leerstand (Wiedereröffnung des Berliner Schiller Theaters als Jüdisches Theater und Bundesgastspielort), schon weiß man nicht mehr, wer welche Idee zuerst hatte, der Laden brummt, in Pro oder Contra dabeizusein ist alles.

Dies alles wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn sich jetzt nicht rechtzeitig ein paar dunkle Flecke vor die Linse geschoben hätten. Ausnahmen, die das Gesamtbild bestätigen, Opfergaben für den Fortschritt. Denn nicht alle dürfen mitmachen beim großen Rangieren und Ins-Rollen-bringen. Ausgerechnet zwei der Renommiertesten sollen den Anschluß verpassen: Dieter Dorn und Thomas Langhoff. Zwei Regieintendanten aus West und Ost, 63 Jahre der eine, 60 der andere, beide sollen im Jahr 2001 aus dem Amt. Ein Vierteljahrhundert wird Dieter Dorn dann die Münchner Kammerspiele geleitet haben, eine Dekade Thomas Langhoff das Deutsche Theater Berlin. Beide wollten noch zwei Jahre verlängern, beiden wurde es versagt. Das ist bitter. Denn beide sind gerade jetzt voller Pläne und Wünsche, wollen noch einmal alles anders machen oder doch besser als je zuvor, um dann ein Haus zu übergeben, das auch im neuen Deutschland Maßstab ist.

Die Situation ist vertrackt, um im Jargon zu bleiben: tragisch. Denn so wenig die Würde verdienter Funktionäre antastbar sein sollte, so verständlich ist das Streben nach Wechsel. Doch zunächst ins Detail. Das Deutsche Theater muß ab Sommer umdenken, denn Thomas Ostermeier geht an die Schaubühne, das Flaggboot Baracke wird geschlossen. Im Aufbaufieber hat Langhoff nun ein Reformprogramm entwickelt, das eine eigenverantwortliche Bespielung der Kammerspiele durch ein Nachwuchsregieteam um Stefan Otteni vorsah sowie die Rückholung zweier berühmter Regisseure nach Berlin: Matthias Langhoff und Luc Bondy.

Für Langhoff völlig überraschend nahm der Berliner Kultursenator Peter Radunski sein Verlängerungsangebot von letzter Woche jedoch nicht an, auf eine Etatüberziehung verweisend, deren Existenz längst geklärt und besprochen war, sowie darauf, daß im wichtigsten Schauspieltheater der Hauptstadt künstlerisch „frischer Wind“ gebraucht würde.

Ähnlich vor den Kopf gestoßen wurde Dieter Dorn. „Nach 23 Jahren Münchner Kammerspiele entlassen Sie mich. Unehrenhaft. Im Baudreck“, schrieb er in einem offenen Brief letzten Donnerstag an die Mitglieder des Münchner Kulturausschusses. Und weiter unten: „Ebenso inhaltslos die Debatte um meine Nachfolge: ohne Idee, ohne Anspruch, ohne Vision von diesem Theater und für dieses Theater. Fixiert auf ein Datum, fixiert auf den einzigen freien Mann.“

Tatsächlich hatte der Kulturausschuß dem Kulturreferenten Julian Nida-Rümelin bereits am gleichen Donnerstag den Auftrag erteilt, Verhandlungen mit Frank Baumbauer aufzunehmen, dem derzeitigen Intendanten des Hamburger Schauspielhauses. Zehn Jahre jünger als Dorn, anders als dieser und Langhoff selbst kein Regisseur und entsprechend nicht auf die eine, die eigene Ästhetik verpflichtet, gilt Baumbauer seit einiger Zeit als Prototyp des erfolgreichen Theaterleiters. Die Abonnenten stellte er ebenso zufrieden wie junges Publikum und die überregionale Kritikerschaft, Autorenpflege und Projekttheater betreibend, Virtuosität anhand von Klassikern vorzeigend, aber auch vor Stefan Puchers Technotheater oder Schlingensiefs Sozialprogrammen nicht kneifend.

Und letzten Somer zeigte er auch noch seine persönliche Flexibilität, als er ohne neuen Vertrag in der Hand bekanntgab, Hamburg nach der Spielzeit 1999/2000 zu verlassen. Damit war zur Jagd geblasen, allen war klar, daß jede große Stadt ihm den nächsten freiwerdenden Posten zu Füßen legen würde. So geschehen in München (wozu sich Baumbauer noch nicht äußert) und so geplant in Berlin. So einer wie Baumbauer ist der Mann der Stunde. Da nutzen keine Appelle der Ensembles an die Städte, nutzt kein Soligedicht der Brechtschauspielerin Käthe Reichel in der Berliner Zeitung. Und nutzt auch nicht die eilfertige Versicherung der Berliner SPD, Langhoffs Vertrag im Falle eines Wahlsiegs im Herbst zu verlängern. Denn das würde ihm nicht helfen. Opfer ist er jetzt schon, damit empfänge er das Gnadenbrot. Kein Mann des neuen Berlin. Ausgerechnet seine Geradlinigkeit dürfte Langhoff übrigens zum Verhängnis geworden sein. Er selbst drang zum 20. Januar auf eine Klärung der Verlängerungsfrage. Weil er wissen wollte, wie er planen kann. Hätte er abgewartet wie München sich mit Baumbauer vielleicht einig wird, wer weiß ob der Berliner Senator sein Verlängerungsangebot nicht freudig angenommen hätte. Denn mehr als diffuser Mitmachwille und ein konkreter Name steckt wohl kaum hinter dem „Konzept“ von neuen ästhetischen Akzenten. Wolfgang Engel vom Schauspiel Leipzig ist noch im Gespräch, das wäre eine Langhoff-Variante, und Volker Hesse vom Theater Neumarkt Zürich, einem unvergleichbar kleineren Haus. Beide übrigens führen selbst Regie.

Der einzige von den alten Regieintendanten, der auch in der kommenden Zeit wieder alles richtig machen wird, ist wahrscheinlich der 61jährige Claus Peymann. Jetzt noch Burgtheaterdirektor, ab dem Sommer Leiter des Berliner Ensembles (kein Staatstheater!), polterte er ins von Sparzwängen paralysierte Berlin mit der Forderung, 10.000 Mark mehr verdienen zu müssen als der Intendant des Deutschen Theaters, Abstand müsse schließlich sein. Gleichzeitig wütet er gegen die Berliner Kulturpolitik und gestand Profil: „Vielleicht bin ich wirklich ein 68er geblieben. Ich bin mit dieser ganzen Generation gegen die Behäbigkeit angetreten und gegen einen falsch verstandenen Patriarchismus.“

Anders als der Rest der Generation scheint er – das ist wohl der Trick – das gesellschaftliche Ideal im Laufe der Jahre nicht dem persönlichen Gewinn geopfert zu haben, sondern operiert aus einer Position heraus, deren Freiheit gerade auf der Umkehrung fußt: auf der persönlichen Idealisierung, die zum gesellschaftlichen Gewinn deklariert wird. Ein mustergültiges Beispiel für kreativen Pragmatismus. Michael Naumann wird das gefallen.

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