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■ Die Wirklichkeit ist schlimmer als der VulgärmarxismusZivilgesellschaftlicher Stamokap

Die DDR ist zu Recht untergegangen, die SED hat sich zur PDS gemausert und schwankt zwischen Verteidigung der Diktatur einerseits, dem flotten Willen zum Mittun andererseits.

Erinnert sich noch jemand an die DKP, die westdeutsche Schwesterpartei der SED? Die gibt es auch noch, und sie könnte sich derzeit brüsten, zwar nicht Recht bekommen, wohl aber Recht behalten zu haben. Das etwas grobschlächtige Theorieangebot der westdeutschen fellow travellers, die Lehre vom staatsmonopolistischen Kapitalismus, ist nämlich soeben beeindruckend beglaubigt worden. Freilich: Die besinnungslose Weise, in der der Kanzler der „neuen Mitte“ die Wünsche der Atomindustrie bedient, hätten sich noch nicht einmal DKP-Ideologen vorzustellen gewagt – es wäre ihnen vulgärmarxistisch vorgekommen.

Die Zeche zahlen die Grünen, die jetzt nicht einmal ehrlich genug sein dürfen, sich ihre Niederlage einzugestehen, und nun ihre Ohnmacht schönreden müssen. Die Parteivorsitzende Röstel erklärt Vorgänge, die sich ohnehin ohne jedes grüne Zutun ereignet hätten, zur epochalen Zäsur. Allerdings: Wer die Energiepolitik der „Konzerne“ (noch so ein Begriff der Stamokap-Theorie, der fatalerweise wörtlich zutrifft) aufmerksam verfolgt hatte, wußte, daß sie ihre Atommeiler ohnehin abschalten wollten, nachdem sie sich amortisiert haben. Das Unvermeidliche zum eigenen Willen zu erklären, Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit zu begreifen und sich selbst im Einklang mit den historischen Prozessen zu wissen – auf keiner anderen Fiktion basierte der Marxismus-Leninismus. Das parteigrüne Schönreden der eigenen Niederlage erweist sich als nichts anderes denn die zivilgesellschaftliche Form der gleichen Ideologie.

Wie ist die Lage? Eingetroffen ist, was vorhergesagt wurde: In jenen Bereichen der Politik, die keine Kapitalinteressen berühren, beim Staatsbürgerschaftsrecht und bei Homo-Lebensgemeinschaften, lassen sich echte, wenn auch noch zu bescheidene Fortschritte beobachten. Immerhin: Das wie geplant zu ändernde Staatsangehörigkeitsrecht markiert einen derartigen Einschnitt, daß man Rot-Grün danach so ziemlich alles, was sie nicht mehr leisten werden, nachsehen kann. Und das ist viel: Das Bündnis für Arbeit erweist sich – wie prognostiziert – als Luftblase; kein vernünftiger Mensch rechnet mehr mit einem nennenswerten Rückgang der Arbeitslosigkeit, die Steuerreform ist jetzt schon versandet und die Ökosteuer das Papier nicht wert, auf dem sie im Bundesgesetzblatt verkündet wird. Das mag allen, die von der Politik leben, als normales Berufsrisiko gelten; jenen aber, die jahrelang für die Politik, für eine andere Politik gelebt haben, muß das als Enttäuschung erscheinen. Die Schwierigkeit besteht darin, daß es sich dabei oft genug um die gleichen Menschen handelt. Micha Brumlik

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