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KommentarMehr Demokratie wagen

■ Parteien sträuben sich gegen Volksentscheide

Mit 25.000 Unterschriften hat die Initiative „Mehr Demokratie“ zum ersten Mal seit dessen Einführung vor vier Jahren ein Volksbegehren erstritten. Doch keine inhaltliche Frage steht zur Abstimmung, sondern ein vereinfachtes Procedere für ebendieses Volksbegehren. Dreht sich Volkes Mitbestimmung also im Kreise?

Nein. Denn die Hürden vor Plebisziten sind in Berlin tatsächlich so hoch, daß kaum Erfolgsaussichten bestehen. Daß sich in einer zweiten Stufe jeder zehnte Wahlberechtigte aus eigenem Antrieb auf dem Bezirksamt einfinden muß, um die dritte Stufe des eigentlichen Volksentscheids zu ermöglichen, schreckt jeden Antragsteller ab. Hinzu kommt, daß konkrete politische Entscheidungen in den Bezirken ebensowenig plebiszitär anfechtbar sind wie die Artikel der Landesverfassung.

Doch die Parteien machen es sich einfach. Sie unterstützen das Volksbegehren nicht oder nicht ernsthaft – und können die Streiter von „Mehr Demokratie“, die folgerichtig ohne prominente Mitstreiter auskommen müssen, leicht als „dubios“ hinstellen.

Argumente, die schwerer wiegen, sind von den Parteien nicht zu hören. Unter Verweis auf die Weimarer Republik den demagogischen Mißbrauch von Plebisziten zu beschwören, traut sich kaum noch jemand. Zu Recht. Schließlich würde das heißen, dem Volk als Souverän seine demokratische Reife abzusprechen. Doch Berlin ist nicht Weimar, ist keine Republik ohne Republikaner.

Auf dieser hehren Ebene bewegt sich die Debatte ohnehin nicht mehr. Kühl kalkulieren die Parteien Chancen und Risiken. Inzwischen hat die Union das konservative Potential entdeckt, das in Volksbefragungen steckt – ob sie bundesweit Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sammelt oder in München teure Tunnelbauten für den Autoverkehr durchsetzt. Die frühere Begeisterung der Grünen für alle Formen der direkten Demokratie hat sich hingegen deutlich abgeschwächt. Theoretisch finden sie das Anliegen zwar noch immer richtig, praktisch aber haben sie es nicht mehr eilig. Doch wenn die Parteien Volksentscheiden wirklich so gelassen entgegensehen, warum lassen sie es nicht darauf ankommen? Ralph Bollmann

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