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Kampf um Entschädigung für Polizeiprügel

■ Obwohl ein Polizist wegen Körperverletzung im Amt verurteilt wurde, ist unklar, wer für die hohen Behandlungskosten und das Schmerzensgeld des geschädigten Türken aufkommt. Sein Anwalt will das Lan

Nadir Gül fühlt sich vollkommen ungerecht behandelt. Ende vergangenen Jahres wurde ein Polizist zu anderthalb Jahren auf Bewährung verurteilt, weil er den 25jährigen Türken auf einer Polizeiwache bis zur Bewußtlosigkeit schlug. Die Folgen: Nasenbeinbruch, Prellungen an Oberschenkeln, Oberarmen und Gesicht, Platzwunden im Gesicht, vier kaputte Backenzähne und psychische Störungen. Die Verurteilung des Polizisten ist zwar eine kleine Sensation, da die meisten Verfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt aus Mangel an Beweisen eingestellt werden.

Doch trotz des rechtskräftigen Urteils und der Entlassung des 37jährigen aus dem Polizeidienst ist die Sache für Nadir Gül noch lange nicht ausgestanden. Noch heute leidet er an Kopfschmerzen infolge des Nasenbeinbruchs, Angstzuständen, Depressionen und Wirbelsäulenproblemen. Seine Hausärztin rät dringend zu einer psychiatrischen Behandlung. Nach einem Voranschlag belaufen sich die Kosten für den Ersatz der vier kaputten Zähne auf mehr als 5.000 Mark – Kosten, die keiner übernehmen will.

In einem Schreiben an den Polizeipräsidenten hat nun sein Anwalt Peter Brasche Staatshaftungsansprüche aufgrund der rechtskräftig festgestellten Körperverletzung durch den ehemaligen Polizeiangestellten geltend gemacht. Verletzt jemand in Ausübung seines Amtes seine Pflicht, muß nach dem Grundgesetz der Staat oder die Körperschaft haften, in deren Dienst er steht. „Herr Gül erlitt bei dem Vorfall erhebliche Verletzungen“, heißt es in dem Brief, „deren Behandlung noch nicht abgeschlossen ist.“ Im Rahmen eines Schmerzensgeldes sei zu berücksichtigen, „daß Gül durch den Vorfall nachhaltig psychisch beeinträchtigt ist und noch heute an den Nachwirkungen leidet“.

Obendrein verschlechtern sich durch die Folgen der Schläge die Chancen von Nadir Gül, der seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebt, eingebürgert zu werden. Vor wenigen Tagen erhielt er einen Bescheid, daß er zur Einbürgerung seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten muß. Das kann er aber nicht. Denn infolge der Nacht auf der Polizeiwache ist er arbeitsunfähig, was mehrere ärztliche Atteste belegen. Nadir Gül lebt von Arbeitslosenhilfe.

Der Türke war im August 1996 nach Auseinandersetzungen in einer Diskothek auf die Polizeiwache in der Friesenstraße gebracht worden. Weil er nicht zu einer Blutentnahme bereit war, wurden drei Polizisten damit beauftragt, die Blutentnahme und erkennungsdienstliche Behandlung zu überwachen. Der Polizeiangestellte Frank W. verlor im Laufe dieser Nacht derart die Beherrschung, daß er Nadir Gül bis zur Bewußtlosigkeit prügelte. Nach dem ersten Faustschlag ins Gesicht blutete Nadir Gül aus Ohren, Nase und Mund. Nach weiteren Schlägen gegen den Oberkörper und den Kopf und einem Fußtritt in die Rippen brach er zusammen. Vor jedem erneuten Schlag forderte ihn der Polizeiangestellte auf aufzustehen. Kaum hatte sich Nadir Gül aufgerappelt, schlug Frank W. erneut zu. Trotz der Aufforderungen seiner Kollegen, von Gül abzulassen, schlug der Polizist den mittlerweile völlig wehrlosen Mann erneut so heftig mit der Faust, daß er mit dem Kopf auf den Boden prallte. Nadir Gül verlor daraufhin kurzzeitig das Bewußtsein. Ein Polizist erstattete Anzeige.

Nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation amnesty international, die den Vorfall in ihrem Bericht über Polizeiübergriffe in Berlin aufführt, könnte mit einer zügigen Entschädigung von Nadir Gül ein „positives Signal“ gesetzt werden. „Damit hätte Berlin die einmalige Chance, positiv genannt zu werden“, so Michael Mayer- Borst von ai. Barbara Bollwahn de Paez Casanova

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