piwik no script img

„Nicht mehr an angestaubten Themen festbeißen“

■ Tom Koenigs, noch amtierender Chef der hessischen Grünen, über die Perspektiven seiner Partei

taz: Nach dem Desaster für Ihre Partei bei der Hessen-Wahl stellen Sie jetzt Ihr Amt als Landesvorstandssprecher zur Verfügung. Ist das eine Art von „Fahnenflucht“ im Existenzkampf der Partei?

Tom Koenigs: Wenn man eine Wahlniederlage hat einstecken müssen, macht es wenig Sinn, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Da muß man Verantwortung übernehmen. Und das heißt, man stellt sein Amt zur Verfügung. Es kann jetzt nicht inhaltlich und personell so weitergehen wie bisher.

Was hat sich Tom Koenigs vorzuwerfen?

Der Landesvorstand hat als Kollektiv gearbeitet. Er stellt auch kollektiv alle Ämter zur Verfügung. Wir haben es in den knapp zwei Jahren unserer Amtszeit offenbar nicht verstanden, die hessischen Grünen aus der Krise, in der sich die Partei nach dem Rücktritt von Ministerin Iris Blaul schon befand, heraus- und an die Gesellschaft heranzuführen.

Was soll das heißen, „an die Gesellschaft heranführen?“

Es gibt Probleme in der Gesellschaft, von denen man nicht möchte, daß es sie gibt. Die Unterschriftenaktion der CDU, eine unanständige Aktion auf dem Rücken der Ausländer, hat diese Probleme ausgebeutet, aber auch sichtbar werden lassen. Wir wollten die mangelnde Integrationsbereitschaft in großen Teilen der Bevölkerung lieber nicht wahrhaben. Dabei waren wir in Frankfurt mit dem Amt für multikulturelle Angelegenheiten schon einmal weiter. Doch auf hessischer Ebene haben wir es versäumt, Programme für die Integration zu formulieren. Nur moralisch gegenzuhalten, war offensichtlich nicht genug. Dabei ist doch auch unser Ziel bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts die Integration – und die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft ein Mittel, wenn auch ein sehr wichtiges. Noch ein anderes Beispiel: Wir waren und sind der Auffassung, daß die CDU die Sicherheitsprobleme vor allem in den Städten überbetont. Trotzdem muß man auf die vorhandenen Ängste in der Bevölkerung vor Kriminalität reagieren und politische Angebote machen. Das haben wir nicht getan. Und dann – das erklärt auch unseren Einbruch bei den jungen Wählern ein Stück weit – gibt es die Probleme an den Hochschulen. Wir haben die Proteste der Studierenden nicht als einen Hinweis auf ein Problem begriffen, das es anzupacken gilt. Wir müssen dazu kommen, auf vielen Ebenen den gesellschaftlichen Konsens wieder mitzuorganisieren. Auch bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Nur ein Konsens wird im Bundesrat mehrheitsfähig sein. Unsere politischen Zielvorstellungen – und das gilt auch und gerade für den Atomausstieg – werden doch von einer Mehrheit in der Bevölkerung geteilt.

Die Einzelschritte beim Regierungshandeln müßten allerdings sorgfältiger dimensioniert werden, sonst stößt man immer wieder an die Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz – oder an rechtliche Grenzen. Und wir brauchen moderne Instrumentarien für die Regierungsarbeit im Bund und in den Ländern.

Wie könnten diese „modernen Instrumentarien“ aussehen?

Wir sind doch begeisterte Technologiefreaks. Davon bemerkt aber kein Mensch etwas, weil wir uns bei zwei angestaubten Themen festgebissen haben: Bist du für oder gegen Atom? Bist du für oder gegen Gentechnologie? Diese ideologische Debatte interessiert aber kaum noch einen Wähler. Der Ausstieg ist beschlossen, bei der Gentechnologie ist bei uns inzwischen eine differenzierende Linie mehrheitsfähig. Was interessiert, ist: Wie sehen die neuen Energieträger aus? Was sind die neuesten Errungenschaften bei den Technologien zum Wassersparen? Wie wird etwa die Region Bergstraße – mit Biblis – zum Zentrum für Solartechnologie? Mit der Beantwortung dieser Fragen hätten wir die Chance, Umweltschutz zum Konsensthema zu machen und als Partei wieder mehrheitsfähiger zu werden. Ein anderes Zukunftsprojekt ist der Bereich von Bildung, Ausbildung und Wissenschaft. Daran müssen wir jetzt arbeiten. Da müssen machbare Angebote formuliert werden. Interview:

Klaus-Peter Klingelschmitt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen