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Ein großer König gibt nicht nur zwei Taler

Was las die Kaiserin? Der Stadtführer „Das weibliche Potsdam“ widmet sich der verborgenen Geschichte von Frauen  ■ Von Peter Walther

Schwarzdruck heißt ein neuer Kleinverlag, in dem als erster Titel ein Buch über „Das weibliche Potsdam“ erschienen ist. Wer bei Schwarzdruck an Samisdat oder gar an die illegalen Zusatzauflagen denkt, die ostdeutsche Verlage in Zeiten deutscher Zweistaatlichkeit von westlichen Büchern druckten, hat viel zuweit gedacht. Ebenso wie der Name des Links- Verlages nichts mit der politischen Duftmarke der dort verlegten Bücher zu tun hat, ist auch der Schwarzdruck-Verlag nicht nach Legalität, sondern schlicht nach der Leiterin des Unternehmens, Renate Schwarz, benannt. Die Verlegerin ist zugleich auch Mitautorin des ersten Verlagstitels. Spötter mögen einwenden: Früher nannte man das Selbstverlag. Freilich ist es nicht bei dem einen selbstverfaßten Titel geblieben, zwei weitere Bücher sind bisher erschienen, darunter ein Stadtführer durch das „weibliche Potsdam“.

Daß es auch vor der mutigen Verlagsgründerin Frauen mit Initiative und Ambitionen in Potsdam gegeben hat, kann man in den mehr als 50 Kurzbiographien aus drei Jahrhunderten nachlesen, die dem „weiblichen Potsdam“ gewidmet sind.

Potsdam – das war, bevor die Höhenflüge der Nazis im Katzenjammer einer Schuttlandschaft endeten und die Stadt zur realsozialistischen Bezirksmetropole verkam – die gediegene Residenz der Hohenzollern.

Wer in den kurzen Lebensbeschreibungen über Wirkungsmöglichkeiten von Frauen in der von Männern dominierten Kasernenwelt der Residenz liest, kommt jedoch nicht in Versuchung, mit Nostalgie auf diese Zeit zurückzublicken. „Auf der Suche nach der weiblichen Geschichte Potsdams“, so die Autorinnen des Bands, „stellte sich heraus, daß die Frauen zu keiner Zeit aus der männlichen Kultur und Ordnung ausgeschlossen waren, sondern in einer anderen Existenzweise mit eigenen Erfahrungs-, Wahrnehmungs- und Ausdrucksweisen in ihr existierten.“

Im 18. Jahrhundert waren es vor allem Frauen im Umfeld des preußischen Hofs, über deren Wirken Einzelheiten überliefert sind. So die Frau Friedrich II., Elisabeth Christine, der die Neugestaltung des Schloßparks von Niederschönhausen zu verdanken ist. Der Nachfolger des Alten Fritz pflegte zeitlebens ein Verhältnis mit der zur Gräfin Lichtenau nobilitierten Wilhelmine Encke, einer kunstsinnigen Frau, die an der Gestaltung des Neuen Gartens und der Pfaueninsel Anteil genommen hat. Natürlich ist auch die Dichterin Anna Louisa Karsch mit einer Kurzbiographie bedacht worden. Sie ist im literarischen Betrieb als „Naturtalent“ herumgereicht und schließlich auch von Friedrich dem Großen zur Audienz beordert worden. An sein Versprechen erinnert, die Dichterin unterstützen zu wollen, sandte der Geizkragen ihr ganze zwei Taler, was ihm die Verse einbrachte: „Zwei Thaler giebt kein großer König: Denn sie vergrößern nicht mein Glück. Nein, sie erniedern mich ein wenig: Drum geb' ich sie zurück.“

Häufig standen die Frauen der Herrscher intellektuell über ihren Männern, so auch im Fall der deutschen Kaiserin Augusta, der Frau Wilhelm I., die am Hof in Weimar aufgewachsen war und noch am Hof in Potsdam im Briefwechsel mit Goethe stand. Von ihrer Schwiegertochter Kaiserin Victoria, Frau des 99-Tage-Kaisers Friedrich III., erfahren wir so erstaunliche Dinge wie die Tatsache, sie hätte sich intensiv mit dem „Kapital“ von Karl Marx beschäftigt. Was wäre uns erspart geblieben, hätte sich die englische Linie in der deutschen Monarchie durchgesetzt? Das 20. Jahrhundert gab erstmals auch den Frauen aus bürgerlichem Hause Spielraum für ein selbstbestimmtes Engagement in der Gesellschaft. Ein Beispiel dafür war Hedwig Heyl, Mutter von fünf Kindern, die 1884 die erste systematische Koch- und Haushaltsschule im Pestalozzi-Fröbel- Haus und 1890 die erste Gartenbauschule für Frauen einrichtete. Nebenher engagierte sich Hedwig Heyl, inzwischen Aufsichtsratsvorsitzende der Heyl-Farbenwerke in Charlottenburg, auch in der Frauenbewegung.

Mit der Eröffnung der UFA- Studios in Babelsberg und der Ansiedlung zahlreicher Verlage in der Stadt trug Potsdam zu dem Glanz bei, den die Kulturmetropole Berlin in den zwanziger Jahren ausstrahlte. Im „Salon“ der Verlegerin Irmgard Kiepenheuer in der Fasanerie im Park von Sanssouci verkehrten Mies van der Rohe, Wilhelm Furtwängler, Kurt Schwitters, Hermann Kasack und viele andere. Oft waren es selbstbewußte Frauen, die sich in den Nazi-Jahren für die verfolgten Juden einsetzten, Frauen wie Lily Pincus, die zeitweilig zwanzig Kindern, deren Eltern von den Nazis verschleppt worden waren, in ihrer Potsdamer Wohnung Zuflucht bot. Nach ihrer Emigration arbeitete Lily Pincus beim deutschsprachigen Dienst der BBC und baute in London ein Institut für Ehestudien auf.

Auch Mimi von Mirbach nahm zahlreiche von rassistischer Verfolgung Bedrohte in ihrem Haus auf, gedeckt durch den Umstand, daß sie zugleich die Kinder ihres verstorbenen Bruders aufzog, deren Vormund ein SS-General war. 1982 wurde ihr vom israelischen Staat für ihr couragiertes Verhalten die Auszeichnung „Gerechte der Völker“ verliehen.

Preußen und seine Frauen, so konstatiert die Schriftstellerin Sigrid Grabner in ihrem Essay, der den Biographien nachgestellt ist, das ist ein wenig ergiebiges Thema. Mit Blick auf die Rolle, die Frauen im preußischen Staat im Vergleich etwa zum Vereinigten Königreich oder zu den Niederlanden spielen konnten, ist das die traurige Wahrheit.

Grabner thematisiert in ihrem Essay den Widerspruch, der in jedem frauenspezifischen Thema liegt: „Unausgesprochen steht dahinter immer der Satz: Seht mal an, obwohl sie Frauen sind, haben sie etwas geleistet. Ein solches Thema weist ebenso auf ein Defizit hin, wie es dieses fortschreibt.“ Diesem Dilemma kann sich auch das vorliegende Buch nicht entziehen. Die Autorinnen haben mit ihren Kurzbiographien – im Anschluß an Gabriele Schnells Arbeit über Potsdamer Frauen – aber eine elementare Wissenslücke gefüllt. Damit ist dem Schwarzdruck-Verlag ein respektabler Auftakt gelungen.

Dagmar Hoßfeld, Renate Wullstein: „Das weibliche Potsdam. Kurzbiographien aus drei Jahrhunderten“. Verlag Schwarzdruck, Potsdam 1998, 19,80 Mark

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