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Der Zwei-Stunden-Orgasmus fürs Auge

■ Weil ihre Experimente nicht im Dunkeln stattfanden, haben Herr und Frau W. eine ziemlich ungewöhnliche Entdeckung gemacht

Augsburg (taz) – Herr W. leidet seit seiner Geburt an einer „Rot-Schwäche“. Rote Grütze, Blut und die Mütze von Michi Schumacher sind in den Augen des 52jährigen farblos und grau. Bislang war gegen dieses Schicksal kein Kraut gewachsen. Doch jetzt gibt es Viagra – und ein Mann sieht Rot.

Zum ersten Mal in seinem Leben. Für zwei Stunden. So lange wirkt die Potenzpille. Auf dem Beipackzettel ist die Störung des Farbsehens als Nebenwirkung aufgeführt. Daß die Wirkung aber auch andersherum funktioniert und die blasse Welt der Farbenblinden bunter macht, wußte bis dato niemand. Selbst die Experten beim Herrsteller Pfizer sind platt. Ein Glück, daß Frau W. Urologin ist und Herr W. ihr ständiges Versuchskaninchen. Und wie gut, daß das (S)Experiment nicht im Dunkeln stattgefunden hat. Sonst hätte Herr W. wohl nicht bemerkt, daß die für ihn so tristen Vorhänge im Schlafzimmer sich plötzlich in farbenfrohem Rot-Grün-Kontrast präsentierten. Vor lauter Begeisterung für so viel Farbenpracht ist die eigentliche Wirkung der Pille schnell in Vergessenheit geraten. Kann er seinen Augen wirklich trauen?

Mit einer gewissen Erregung hatte Herr W. im ganzen Haus für Festbeleuchtung gesorgt und staunte nicht schlecht: Wo er bislang immer Blau vermutet hatte, kann er auf einmal Pink erkennen. Nun ist Herr W. froh über den Zugewinn an Lebensqualität. Und seine Krawatten will er in Zukunft nur noch nach Viagra-Einnahme kaufen.

Auch Prof. Dr. Tauber, Urologe im AK Barmbek in Hamburg und ein Freund der Familie, zeigte sich von der ungewöhnlichen Nebenwirkung sofort angetan. In der Augenklinik des Krankenhauses wurde Herr W. von Prof. von Domarus und Dr. Hilfer ausführlich untersucht. Ergebnis: Herr W. ist eindeutig „rot-schwach“, und diese Rot-Schwäche läßt sich dank Viagra deutlich bessern.

Ob es sich bei Herrn W. nun um einen Einzelfall handelt oder nicht, müssen umfangreiche Studien erst noch unter Beweis stellen. Prof. Dr. Tauber hält es allerdings für möglich, daß ein gegen Farbenblindheit noch verbessertes Mittel auf der Basis von Viagra entwickelt werden könnte. Und vielleicht gibt es den Muntermacher demnächst dann auch beim Augenarzt ... Matthias Bremer

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