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Auf Halde

Morbides Geschäft: Wenn Journalisten Nachrufe auf noch Lebende verfassen  ■ Von Jenni Zylka

Mors certa, hora incerta, sagt der Lateinkundige, und übersetzt, wenn er nett ist, das auch gleich für die anderen: Der Tod ist gewiß, doch ungewiß die Stunde. Weil das so ist, die Medien jedoch auf Aktualität und prompte Information setzen, hat sich im Nachrichtenbereich bezüglich des Für-immer- Abtretens von Prominenten aus Politik, Kultur und Zeitgeschehen eine merkwürdige Sitte herausgebildet: das Vorab-Verfassen sogenannter Nekrologe. Warum das so ist, erklärt der Lissabonner Kulturredakteur „Pereira“ im gleichnamigen Roman von Antonio Tabucchi dem jungen Mann, der für seine Zeitung Nachrufe im voraus schreiben soll: Man müsse schließlich vorbeugen. In der Verfilmung spielte Marcello Mastroianni in seiner letzten Rolle den herzkranken Pereira, der die Nachrufe in einer Schublade seines alten Schreibtisches stapelt. „Auf Halde“ nennen z.B. die taz, aber auch andere Zeitungen diese Schublade oder Datei, in der die Nekrologe oft jahrelang liegen. (Die Assoziation „Müllhalde“ wird nicht nur von den RedakteurInnen, sondern auch von den AutorInnen weit von sich gewiesen.)

Etwas verpönt scheint dieses Verfahren trotz eindeutiger Ehrenhaftigkeit unter den Kollegen dennoch zu sein. Auf die Frage, wer die Kriterien für eine Aufnahme in den Club der, na ja, Sterblichen, träfe, fühlt sich keiner so recht zuständig, es entfleucht jemandem ein „Huch! Wie morbide!“, und man wird von der Redaktion zum Archiv und wieder zurück geschickt, bis endlich ein freundlicher Mann namens Bernd sich bereit findet, die Halde mal auf entsprechende Artikel abzuklopfen. Unter dem sinnigen Stichwort „Pietät“ liegen diverse Texte. Über Karol Wojtyla z.B. Dem vielreisenden Oberhaupt der katholischen Kirche wünscht jeder nur Gutes, aber um realistisch zu sein – auch der Papst wird einmal nicht mehr nur urbi et orbi, sondern das Zeitliche segnen, so wie andere alte Männer auch.

Ein postmortales Jelzin-Porträt ist in den meisten Redaktionen ebenfalls für den Fall der Fälle vorbereitet worden. Es klingt schon etwas merkwürdig, wenn die Texte mit Formulierungen enden wie „Er starb im Alter von ... Jahren in ... an ...“ oder „Gestern um (bitte einsetzen) Uhr erlag er ...“ Aber das Mißbehagen mit diesem Thema scheint recht typisch für das Problem, das Abendländer mit dem Tod haben. Schuld daran ist vielleicht eine unsinnige, abergläubische Angst, den Sensenmann heraufzubeschwören.

Das Fernsehen behandelt dieses sensible Thema nicht anders. Beim ZDF in Mainz gab es zwar sogar mal einen Zentralbeauftragten für Nekrologe, aber inzwischen kümmern sich die einzelnen Ressorts selbst um die „Lebensbilder“, wie die Nachrufe mit einem zarten Versuch, es positiver klingen zu lassen, heißen. Und die Porträt- Stücke über Boris Jelzin oder die Queen, noch recht junge Vielflieger wie Schröder, über SchauspielerInnen wie Juhnke oder Bardot sollten „nicht wehleidig“ klingen, und müssen regelmäßig überarbeitet werden – etwa alle ein bis zwei Jahre – damit sie „eventuell am Todestag noch gesendet werden können“, berichtet ein Mitarbeiter des innenpolitischen Ressorts. „Giftschränkchen“ nennt er die Rubrik der wartenden Lebensbilder.

Daß man den Nachruf auf Kohl zum Machtwechsel einfach umgebaut als politisches Porträt hatte senden können, war ein „Glücksfall“ – so ein Nachruf besteht schließlich aus biographischen Stationen aus dem Leben des oder der Portraitierten, die man auch unter weniger traurigen Umständen „immer wieder gerne sieht“, wie das TV-KollegInnen formulieren. Im Fernseharchiv, wo die vorbereiteten Stücke bis zum Tag X liegen, mag man sich auch nicht recht zu dem „unerfreulichen Thema“ äußern. Nur daß es schon vorkam, daß man ein wichtiges Lebensbild noch nicht hatte zum Zeitpunkt des Todes, und daß die Produktion normalerweise sehr schnell und routiniert über die Bühne gehe, erzählt die Mitarbeiterin.

Auf wessen letzte Reise man sich vorbereitet habe, wisse sie aber nicht auswendig. Und wem überhaupt diese Ehre zuteil käme, entschieden die Redaktionen. Die BBC hat schon ein anderthalbstündiges Filmporträt über Jelzin in petto, mit dem sie gegebenenfalls den Reigen anführen würde. Und beim Radio ist diese Art der Zukunftsschwarzmalerei ebenfalls üblich – manche KollegInnen stellten in Interviews sogar extra Fragen im Hinblick auf eine mögliche Verwendung im Nachruf, behauptet ein befragter Radio- und Fernsehmann felsenfest.

Die Probleme der JournalistInnen mit dem Thema sind genauso offensichtlich wie seine Unausweichlichkeit. Schließlich sind die Konsumenten einer Nachricht interessiert an deren Aktualität, und die Vorab-Produktion einer Geschichte ist Journalistenalltag. Wem das alles trotzdem zu schaurig oder schlicht blasphemisch erscheint, der mag sich damit trösten, daß die Profile inhaltlich fast immer positiv bis verklärt ausfallen. Wie in dem schönen Sprichwort: Man lobt im Tode manchen Mann, der Lob im Leben nie gewann.

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