: Kriegsrecht, Mobilmachung, das komplette Chaos in Belgrad – ohne mich!
Zum ersten Mal in meinem Leben denke ich ernsthaft darüber nach, gegen meinen Willen zumindest zeitweise mein Land zu verlassen. Und zwar mit klarem Ziel: Wir haben einstimmig beschlossen, es mit Bosnien- Herzegowina zu versuchen. Um genau zu sein: Wir werden abwechselnd in Sarajevo in der muslimisch-kroatischen Föderation und in Banja Luka in der Republika Srpska leben.
Natürlich ist es eine Ironie des Schicksals, wenn wir als Bürger Serbiens keine drei Jahre nach Ende des Krieges in Bosnien und der Tragödie Sarajevos gerade dorthin fliehen. Aber es gibt gute Gründe: So werden ich im Nachkriegsbosnien als Journalist arbeiten können. Ich schreibe schon länger wieder für bosnische Medien. Sie zahlen sogar mehr als hier in Serbien. Und regelmäßiger.
Meine Frau und ich haben zudem eine Menge Freunde und Kollegen in Bosnien, die uns schon seit längerem einladen und uns Hilfe für den Fall der Fälle anbieten. Einige dieser Freunde und Kollegen waren in den Jahren seit Beginn der Kämpfe in Bosnien 1992 bei uns in Belgrad zu Gast. Mit einigen haben wir monatelang zusammen in unserer Wohnung gelebt. Wir haben den Leuten mit Geld und Verbindungen geholfen, damit sie sich ein neues Leben aufbauen und ihre Familien in Bosnien unterstützen konnten.
Natürlich habe ich nie geglaubt, daß ich tatsächlich mal auf ihre oft mehr im Scherz gemeinten Einladungen zurückgreifen müßte. Doch unser Leben hier auf dem Balkan ist voller Überraschungen. Nur ein Problem gibt's da noch: die Maßnahmen der Nachbarstaaten. Makedonien schließt in Erwartung von Flüchtlingsströmen immer mal wieder seine Grenzen. Irgendwie ist das sogar verständlich.
Um ehrlich zu sein: Ich hätte nie geglaubt, daß die Nato tatsächlich bombardieren würde, vor allem natürlich nicht Belgrad. Aber das Regime hier nutzt das nun aus, um meine Mitbürger noch mehr zu verunsichern. Und Ihnen noch mehr Haß auf alles beizubringen, was ihnen fremd ist.
Unser Leben ist nicht von Nato-Bomben bedroht. Aber ich bezweifle nicht, daß Milosevic, seine Frau Mirjana Markovic, der Radikalenführer Seselj und Co. sie nutzen werden, um jetzt das Kriegsrecht, die allgemeine Mobilmachung oder kurz: das komplette Chaos einzuführen. Mit dem Ziel, alle Gegner auszuschalten.
Wenn nicht schon diesmal. Irgendwann wird eine Bombe auf ein Elektrizitätswerk fallen und alles lahmlegen. Dann wird es kommen wie 1992 in Sarajevo: Die Grenze wird geschlossen, von draußen unter Beschuß, die Stadt wird von kriminellen Banden beherrscht – und wir stecken alle in einem gigantischen Sarajevo fest. Ohne mich! Dragan K., Belgrad
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen