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Einblicke in ein Geschlechterbiotop

Irren ist menschlich und auch in zwanzig Jahren taz-Geschichte nie ausschließlich männlich gewesen. Aber könnte es sein, daß Männer einfach nur weniger Angst haben, in Fettnäpfchen zu treten und sich gelegentlich einmal gründlich zu blamieren? Zumindest solange es nicht darum geht, Position zu beziehen zum wechselhaften Miteinander der Geschlechter. Über röhrende Preßlufthämmer, entfernte Pamphlete, Streiks ohne Forderungen und darüber, wie ein Mann seine linken schreibenden Geschlechtsbrüder aus hetiger Sicht betrachtet, schreibt  ■ Dirk Wildt

Erwin etwa brauchte ein gutes Dreivierteljahr, um zu bemerken, daß es mich gibt. So lange dauerte es, bis er zum ersten Mal meinen Gruß im Treppenhaus erwiderte. Er war damals Redakteur, ich Praktikant. Die Hamburger taz-Redaktion hatte sich Anfang der Achtziger mit Sperrmüllmöbeln stilecht und politisch korrekt im Obergeschoß des alternativen Kommunikationszentrums „Werkstatt 3“ eingerichtet – eine ehemalige Haarwaschmittelfabrik in Altona. Die Miete für das Fotolabor wurde geteilt mit einer Druckerei, deren Name „confront“ verriet, wie man den herrschenden Verhältnissen zu Leibe rücken wollte. Im Erdgeschoß tagte regelmäßig das Autonomenplenum und bereitete bevorzugt militante Demonstrationen gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf vor.

Erwin – wir redeten uns natürlich mit Vornamen an – trug schulterlanges schwarzes Haar. Seine Umgangsformen waren beispielhaft für das Gros der männlichen Redakteure. Bei Debatten auf Konferenzen war es nicht ungewöhnlich, daß Kollegen ihre Meinungen laut wie Preßlufthämmer vortrugen. Männer eben. Solche wie Erwin. Soweit zur alternativen Frühgeschichte. Die Szene von damals ist siebzehn Jahre her. Seither hat sich der Umgangston in der taz gebessert.

Es gab in den gut fünfzehn Jahren, in denen ich für die taz tätig war, nur einmal einen Moment, in dem das Selbstbewußtsein der taz-MacherInnen kollektiv erschüttert schien: das war beim Mauerfall 1989. Nachzulesen im auf CD-ROM gepreßten Archiv. Damals produzierte eine Generation die taz in Berlin, die von der Außerparlamentarischen Opposition geprägt war, die die Hysterie der Politik und Polizei im Deutschen Herbst durchlebt, Befreiungsbewegungen gegen den Imperialismus unterstützt und die Anti-Atomkraft-Bewegung initiiert hatte. Nun ging die Mauer auf. Die bundesdeutsche Linke wollte nicht wahrhaben, daß der sozialistische Nachbarstaat materiell wie politisch am Ende war.

Diese als Ohnmacht empfundene Lage führte zu allerlei Fehleinschätzungen und abwegigen Meinungsäußerungen, die in ihrer Vielzahl in der taz-Geschichte wohl beispiellos sind. Eher lustig erscheint heute, daß sich die taz Ende 1989 gegen die Abschaffung der Visumspflicht und des Zwangsumtauschs stark machte. „Wird die Wirtschaft der DDR die zu erwartenden Reisenden versorgen können?“ durfte ein Gastautor im Dezember 1989 ängstlich fragen und betonen, daß schon der DDR- Bürger morgens keine Brötchen mehr bekomme.

Die Sicht vom damaligen Kollegen (und heutigen Zeit-Redakteur) Klaus Hartung, Kanzler Kohl habe mit seinem Zehn-Punkte-Plan als „deutschlandpolitischer Marodeur die Chance zur Normalisierung in Mitteleuropa ruiniert“, war keine Minderheitssicht. Mit seiner Einschätzung, der „geile Griff nach einem Großdeutschland“ zerstöre das europäische Haus, gab der Autor nur wieder, was alle dachten.

Irren ist menschlich – nicht männlich. Männlich ist allerdings, Meinung auch dann ernsthaft und selbstsicher vorzutragen und durchzusetzen, wenn man gar nicht weiß, ob man recht hat. Dieses Phänomen, meinungsstark erscheinen zu wollen, auch wenn man die Orientierung lange verloren hat, war in der taz nie so gut zu beobachten wie in diesen Monaten nach der Maueröffnung. Womit ich auf die Frauen zu sprechen komme. Denn gäbe es keine Frauen, könnte einem gar nicht auffallen, daß es überwiegend Männer waren, die sich kräftig irrten.

Sind deshalb die Kolleginnen klüger? Sicher nur seltener an der Meinungsfront tätig. Es müßte sich anläßlich des zwanzigjährigen taz-Geburtstags mal jemand die Mühe machen, die Zahl der Kommentare getrennt nach männlichen und weiblichen Autoren zu zählen. Das Ergebnis wäre verheerend – für die Frauen. Oder wollt ihr uns gar nicht Paroli bieten?

Wer aus der Menge der von Männern geschriebenen Kommentare schließen wollte, Jungs seien stärker gewesen, die irrt. Die Mehrheit der Redakteurinnen hat sich schlicht darum gerissen, bloß keinen Kommentar zu schreiben. Ausdrückliche Bitten um die Kommentierung durch Kolleginnen gerade bei politischen Themen sind erfolglos geblieben – von Ausnahmen abgesehen. Wie ich höre, hat sich daran bis heute nicht viel geändert.

Die Mauer fiel nur einmal. Aber Vatertag ist jedes Jahr. Und so kam es, daß die taz-Frauen 1992 eine geniale Idee hatten. Nur Männer sollten am anstehenden Vatertag eine taz machen. Bei der ersten Vorbereitungssitzung sammelten wir Männer unter Aufsicht frauenpolitisch besonders engagierter Kolleginnen unsere Vorschläge: Frauen und gesellschaftliche Gewalt hier, Frauen bei den Muslimen, Frauenunterdrückung im Iran und so weiter und so fort.

Es war damals erst elf Jahre her, daß ein gewisser Gernot Gailer in der taz die sexuellen Phantasien eines linken Mannes – nämlich seine – schilderte und damit eine LeserInnenbriefflut nebst taz-Frauenstreik auslöste.

Gailer zitierte detailliert aus einem Pornoheft. Er beschrieb die Doppelmoral der deutschen Linken, daß nämlich das Angucken von Bildern nackter Frauen im Playboy verpönt, die Bilder gleich unverhüllter Frauen zwischen Texten in den Frühausgaben von konkret jedoch erlaubt sei. Er stellte frustriert fest, linke Lust müsse politisch sauber sein. Und was verhelfe einem Linken zur höchsten Reinheit? Die Theorie. Doch am Ende seines Textes bekannte sich der Autor statt zur Sexualökonomie, Sexualwissenschaft oder Sexualforschung zur Peepshow. Klar, daß „die taz-Frauen“ streiken mußten. Sie schrieben: „Unsere Erklärung ist daher zunächst fragmentarisch und kann noch keine klaren Forderungen enthalten.“

Die taz-Männer schienen sich elf Jahre später weder von der Frauenbewegung noch von den schweren taz-internen Konflikten erholt zu haben. Zumindest nicht, als es darum ging, Themen für eine Männer-taz vorzuschlagen. Chefredakteur Michael Sontheimer (heute: Spiegel) beschloß, das Projekt an einem Vatertag in einem anderen Jahr zu machen.

Mein Pamphlet „Feiglinge verschieben Männer-taz – Softies aller Etagen vereinigt euch!“ wurde mehrmals von der Blechwand des Fahrstuhls in der Kreuzberger Kochstraße abgerissen. Einmal erwischte ich dabei den Kollegen Claus- Christian Malzahn (ebenfalls heute beim Spiegel), stets ein großer Freund des Frauengedankens und im vorauseilenden Gehorsam in Sachen Geschlechterfrage einer der eifrigsten. Ein von mir für die Männer- taz verfaßter Artikel erschien zum Trost auf der damaligen Frauenseite, worauf ich selbst heute immer noch ein wenig stolz bin.

Männer in der taz: Wenn ich mit einem Satz zu diesem Thema was sagen müßte, dann dies: Männer in der taz sind links, ansonsten nicht anders als anderswo, höchstens ein bißchen. Und die Frauen? Auch irgendwie anders – wenn auch inzwischen sehr müde, alles im Geschlechterkampf auf die Goldwaage zu legen.

Dirk Wildt, 35, wechselte 1997 die Berufsperspektive. Seither dient er in Berlin als Pressesprecher der SPD-Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing

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