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DDR-Popstar mit Weltniveau

Nun liebe taz-Leser, gebt fein acht, wir haben euch etwas mitgebracht: Das Filmmuseum Potsdam erzählt mit einer Sandmännchen-Ausstellung den rasanten deutsch-deutschen Wettlauf um die kindgerechtere Einschlafaufforderung  ■   Von Alexander Müller

Über den Osten kann man sagen, was man will – aber eins bleibt bestehen: Sein Sandmännchen darf niemals untergehen. In Fragen der Gute-Nacht-sagen-Politik war's im Westen definitiv nicht am besten, mit ihrem Sandmännchen hat die DDR der BRD ein Spitzenprodukt beschert. Während der SFB sein Sandmännchen 1984 durch Wolf und Rüffel ersetzte und der NDR im Frühjahr 1989 seine Sandmännchen-Sendungen einstellte, läuft und läuft und läuft das Ost-Sandmännchen immer noch: in ORB, MDR, Kinderkanal und sogar im NDR. Pünktlich zu den diesjährigen Wiedervereinigungsfeiern wird es so alt wie die DDR, als sie unterging.

Aus diesem Anlaß zeigt das Filmmuseum Potsdam die Ausstellung „Sandmann-Geschichten. Gute Nacht in Ost und West“. Die Kuratoren Heidrun Wilkening und Volker Petzold dokumentieren damit erstmalig die Geschichte der Systemauseinandersetzung im Kinderprogramm: Soweit empfangbar, konkurrierten die Ost- und die Westsendung um die kindgerechtere Einschlafaufforderung. Seit 1956 gab es in Radio DDR ein Sandmannformat und ab 1958 im Fernsehen die „Abendgrüße“, jene auch heute noch vom Sandmann präsentierten Kurzgeschichten. Was fehlte, war genau dieser Vor- und Abspann, dessen Idee dann im Westen, beim SFB, entstand – entwickelt von Ilse Obrig, die nach dem Krieg noch Kinderlieder im Radio der damaligen SBZ organisiert hatte.

Nachdem man in der DDR mitbekommen hatte, daß der SFB ab dem 1.Dezember 1959 eine Sandmännchen-Sendung zeigen wollte, zauberte man eine eigene Ausgabe wie aus dem Nichts auf den Bildschirm – exakt eine Woche vorher. Es war ein Sandmann, der aussah wie ein unbeholfenes Fabelmonster. Erst 1960 schuf Gerhard Behrendt das Sandmännchen, das wir heute kennen. Ein genialer Wurf, der den Westen derart verunsicherte, daß er bis 1989 zwanghaft an einer befriedigenden Antwort herumbastelte. Die verschiedenen Rundfunksender brachten mannigfaltige Sandmänner ins Spiel, deren bekanntester der von Herbert K. Schulz ist, den er 1962 für den NDR entwickelte, nachdem er beim SFB auf taube Ohren gestoßen war. Wie Obrig kam auch Schulz aus dem Osten, er hatte den Puppenkinderfilm der DDR mitbegründet. Sein Sandmann ist der, der auf einer Wolke dahergeflogen kommt und mit den heute in den allgemeinen Sprachschatz eingegangenen Worten „Nun liebe Kinder, gebt fein acht, ich habe euch etwas mitgebracht“ seinen kleinen Fernseher aufschließt, um einen Kurzfilm flimmern zu lassen.

Mehr als zwanzig Jahre war er die dominierende Figur des Westens, und trotzdem wollte der WDR 1967 den Ost-Sandmann einkaufen – wie weiland Springer die gesamte DDR. Das ging natürlich auf keinen Fall, so daß der WDR den skurrilen „Sandmann International“ schuf: Ein plumper kartoffelsackig-vogelscheuchiger Samson-Vorläufer, in dem eine kleine Frau steckte, die singend über eine Bühne tanzte.

Das Filmmuseum präsentiert unter einem Wattewolkenhimmel auf der linken Seite Glanz und Elend der Sandmann-Versuche im freien Westen, auf der rechten die lineare Erfolgsstory des Ostprodukts. Auf beiden Seiten quaken je drei Videorekorder unablässig Sandmann-Folgen der jeweiligen Schulrichtung, ebenso kleinkindhoch angebracht wie die, riesigen alten Fernsehern nachempfundenen, Schaukästen, in denen – als Originalfiguren oder auf Fotos – die Sandmänner und ihre Freunde versammelt sind: Helden der Kindheit wie die Globeriks, Piggeldy & Frederick, die Wawuschels und der kleine Seeräuber (West), beziehungsweise Fuchs & Elster, Bummi & Schnatterinchen, Frau Puppendoktor Pille mit der großen klugen Brille und natürlich den frechen Superstar Pittiplatsch, der erste Schwarze der DDR, der – „Ach du meine Nase!“ – eigentlich einen Kobold darstellen sollte. Neben diesen Bewohnern des mindestens auf Disney-Stufe stehenden DDR-,,Märchenlandes“ servierte man im Osten auch kleine Infohäppchen über die seltsame Welt der Nicht-Kinder: Kurz-Dokfilme unter dem Titel „Geschichten, die noch keiner weiß – Geschichten von Arbeit und Fleiß“ zur Züchtung kleiner fortschrittsfreudiger Sozialisten.

Der angeblich ach so materialistische Westen blieb lieber märchenhaft und vertraute auf die heile Welt der Witzigkeiten – Feuer, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht. Das Ost-Sandmännchen lebte mehr in der Realität. Es kam im Gegensatz zum West-Sandmännchen im Hellen und fuhr mit Motorboot und Feuerwehrauto Puppenkinder besuchen, um mit ihnen noch ein bißchen vor der Glotze abzuhängen. Und zwar weltweit, egal ob in Indien oder China, immer gab es irgendwo einen Fernseher, den man für Frieden und Völkerverständigung anschalten konnte. Der gelernte DDR-Bürger mußte brav zu Hause bleiben, während das Sandmännchen mit speziellen Fahrzeugen wie einem fliegenden Koffer oder einer Rakete in der Welt rumkurvte. Und wenn es dann den Kindern seinen Sand zum Einschlafen in die Augen streute, dann haben die sich zu Hause oft die Hand vor die Augen gehalten. Kinder sind nämlich nie so blöde, wie man denkt.

Filmmuseum Potsdam, Di. bis So. 10 bis 18 Uhr. Bis 29. August

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