piwik no script img

Freiwild auf dem Bolzplatz

■  Bei Fußballspielen steigen die Aggressionen wieder: Oft gehen sie von den Zuschauern aus, die Spielabbrüche häufen sich, und das vor allem zunehmend im Jugendbereich

Nachdem die Zahl der Spielabbrüche in der vergangenen Saison zurückgegangen war, häufen sich in dieser Saison erneut die Fälle von Aggressionen auf dem Rasen. Allein am vergangenen Wochenende mußten vier Spiele abgebrochen werden. Die Attacken fanden in Spielen von Kreis- und Bezirksligen und auch einer Seniorenlandesliga statt.

Der Vorsitzende des Sportgerichts, Franz-Peter Mertens, spricht von einer „Eskalation“. Nachdem es in der vergangenen Saison einen leichten Rückgang gegeben habe, gehörten Spielabbrüche nunmehr wieder „zur Routine“. So wurden seit Saisonbeginn im August vergangenen Jahres bis jetzt 67 Spielabbrüche registriert. Weil noch die Endphase bis Ende Mai mit sechs Spieltagen und jeweils etwa 1.500 Spielen pro Tag ansteht, befürchtet Mertens einen erheblichen Anstieg im Vergleich zur Vorsaison, in der es insgesamt 83 Spielabbrüche gab. Davor waren es 99.

„Sehr, sehr nachdenklich“ stimmt den Sportrichter vor allem die Zunahme von Abbrüchen im Jugendbereich, die sich der Anzahl bei den Männern nähern. So fanden von den bisher 67 Abbrüchen 32 bei Jugendspielen statt. „Früher war der Anteil im Jugendbereich ein Drittel“, so Mertens, „jetzt ist er fast ausgeglichen mit dem Männerbereich.“ Als Verursacher der Gewalt auf dem Rasen sieht er weniger die jugendlichen Fußballer selbst als vielmehr deren Eltern und Betreuer, die ihrem Unmut auf ungehörige Weise Luft machen. „Ich verstehe das nicht“, so Mertens, „wir wollen den Jugendlichen Fußball beibringen und nicht, daß die Eltern auf die Schiedsrichter losgehen“.

Die Sanktionen für Vergehen auf dem Rasen sind ebenso breit gefächert wie die Art der Angriffe, die von Schubsen über Schläge und Anspucken bis zur Bedrohung mit Waffen reicht. Das niedrigste Strafmaß sind Geldstrafen – bei Jugendlichen jedoch nicht. Des weiteren gibt es Punktabzüge und mehrjährige Sperren, die nach einem Gnadengesuch eventuell wiederaufgehoben werden können.

Auch der Vorsitzende des Schiedsrichterausschusses, Gerhard Müller, ist alarmiert. „In letzter Zeit gab es eine Häufung von Angriffen gegen Schiedsrichter“, sagt er. Insgesamt gibt es derzeit 1.300 Unparteiische in Berlin. Müller weiß sogar von Schiris, die aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen auf dem Rasen überlegen, nicht mehr zu pfeifen. Er betont zwar, daß Streik „das allerletzte Mittel“ sei, doch Schiedsrichter dürften „kein Freiwild“ sein.

Die vier abgebrochenen Spiele am vergangenen Wochenende müsse man aber im Zusammenhang mit den bis zu 1.800 Spielen jedes Wochenende in Berlin sehen. Doch andererseits stellt er klar: „Jeder Abbruch ist einer zuviel.“

Müller beklagt, daß es vor diesem Hintergrund immer schwieriger werde, Schiedsrichternachwuchs zu rekrutieren. Pro Jahr werden etwa 180 ausgebildet. Die 1.500 Schiedsrichter, die es derzeit in Berlin gibt, verdienen pro Spiel zwischen 16 bis maximal 50 Mark pro Spiel. „Wenn dann die Angriffe dazukommen“, so Müller, „ist das sehr negativ.“ B. Bollwahn de Paez Casanova

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen