: „Die Mädchen finden das alle doll“
■ Interview mit Benjamin Berg, Schüler und bekennender Schwuler / Ist das in den 90er Jahren überhaupt noch ein Thema?
Er ist 17 Jahre jung, geht in eine Bremer Schule und bekennt sich zu seinem Schwulsein. Hätte sich Benjamin eine andere Sexualerziehung in der Schule gewünscht? Oder seine Mitschüler? Wie es sich als Schwuler in der Schule lebt, darüber sprachen wir mit dem 10t-kläßler und Offener-Kanal-Moderator Benjamin Berg.
Wann hast du im Schulunterricht das erste Mal etwas von Schwulsein mitbekommen?
Benjamin Berg: In der Schule? Gar nichts. Oder Moment mal. In Biologie hatten wir das glaube ich mal. Da hat jemand ein Referat gehalten über AIDS. Dann kam die Frage, wer und wie man das bekommt. Die Lehrerin rannte nach hinten und holte ein Bild für den Overhead-Projektor. Da waren zwei Männer drauf, die irgendwie gerade Sex hatten. Das war das einzige Mal, daß ich von Lehrerseite eine Anspielung mitbekommen habe, daß es das auch gibt.
Wußtest du da schon, daß du schwul bist?
Ja. Das war erst vor einem dreiviertel Jahr.
Wie sah Sexualerziehung in der Schule für dich aus?
Meine Sexualaufklärung in der Schule fand in der vierten Klasse statt. Meine Deutschlehrerin kam rein und las eine Liste vor mit vier Schülernamen. Die mußten dann rausgehen, weil ihnen die Eltern die Teilnahme an der Sexualerziehung nicht erlaubt haben. Dann haben wir ein Heft bekommen, das hieß „Peter Ida Minimum“. Das gibt es auch schon seit den siebziger Jahren. Da sind Zeichnungen drin, „Mama und Papa haben sich lieb“. Am Anfang sind sie Hippies und haben lange Haare und liegen aufeinander, und im übernächsten Bild haben sie dann kurze Haare und einen Schnäuzer und dazwischen steht das Kind. In der sechsten Klasse hatte ich nochmal sowas, da kann ich mich nicht dran erinnern. Und dann nochmal in der neunten. Da war das dann rein auf der biologischen Schiene. Da wurde uns drei Wochen lang erzählt, wie der Frauenzyklus funktioniert. Wir mußten das auswendig lernen – was für die Mädchen natürlich extrem langweilig war, weil sie das alles schon wußten. Und was mir komisch vorkam: Über den Mann wurde gar nicht geredet. Uns wurde nicht erklärt, wie der Schwellkörper funktioniert, oder wie das funktioniert, daß man während des Sexes nicht pinkeln kann. In einem neueren Biologiebuch habe ich eine Fußnote entdeckt, in der steht, daß Homosexualität weder krankhaft noch pervers ist, sondern lediglich eine andere Form, seine Sexualität zu leben. Das war aber auch alles.
Hätte es dir in deiner Selbstfin-dungsphase geholfen, wenn du in der Schule eine andere Sexualerzie-hung bekommen hättest?
Mit 13 habe ich mir eingestanden,daß ich schwul bin. Ich habe mich niemals als pervers oder abartig angesehen, und ich habe mir auch nie krampfhaft eingeredet, daß mein Schwulsein wieder weggeht. Das alles habe ich nicht wegen der Schule begriffen.
Wie gehen deine Mitschüler mit dir als Schwuler um?
Die, die mir wichtig sind, akzeptieren das und haben kein Problem damit. Ich gehe nicht hausieren damit, daß ich schwul bin und bin auch nicht sonderlich tuntig. Aber es geht natürlich in der ganzen Klasse rum. Ich habe ein Foto von meinem Freund im Portemonnaie, und so kam das durch. Die Mädchen finden das alle doll.
Ist das für die Schüler eher gar kein Thema mehr, weil es so selbstverständlich ist, oder lästern die hinter deinem Rücken über dich?
Manchmal lästern sie noch nicht mal hinter meinem Rücken über mich ab. Aber die meisten sagen sich wohl einfach: Das ist halt so.
Hast du dich denn jemals von der Schule alleingelassen gefühlt bei deinem Bedürfnis, mehr über Sexualität zu erfahren?
Ich denke, es geht dabei nicht nur um mich als „Betroffenen“. Wenn meine Mitschüler eine Sexualerziehung in der Schule bekommen hätten, die Homosexualität mit einschließt, wäre es für sie einfacher, zu akzeptieren und zu respektieren wie ich bin.
Fragen: Christoph Dowe
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