■ Westliche Medien kämpfen nun auch gegen China: Die zweite Front
Wir haben ein Problem. Der Krieg der Nato gegen Jugoslawien läßt sich immer schwieriger erklären. Das weiß nicht nur Nato-Sprecher Jamie Shea, sondern jeder westliche Medienmacher.
Da traf es sich gut, daß die chinesische Regierung so dumm war, Studenten gegen die Nato demonstrieren zu lassen, und dem Bombenanschlag auf ihre Belgrader Botschaft eine Kampagne gegen die US-amerikanische Politik folgen ließ. Nun konnten die Medien endlich eine zweite Front eröffnen, die mehr Klarheit versprach als die verfahrene Situation im Kosovo. Schließlich regieren in Peking noch echte Kommunisten, die genauso die Menschenrechte verletzen wie Miloevic.
Die ersten Opfer, die an der chinesischen Front zu beklagen sind, haben an der Schlacht das größte Interesse: wir Journalisten. CNN zeigte tagelang Aufnahmen von einem französischen Kameramann, der von Demonstranten vor der amerikanischen Botschaft in Peking herumgestoßen wurde. Ein deutsches Blatt ließ seinen Korrespondenten von den „Bauchtritten“ berichten, die Studenten gegen ihn austeilten. Da war klar, daß es sich bei den Demonstranten nur um „antiamerikanisch“ und „nationalistisch“ motivierte „Patrioten“ handeln konnte. Die größte Sympathie aber galt dem amerikanischen Botschafter in Peking, der uns in seiner von Demonstranten belagerten Residenz herzzerreißende Interviews gestattete, in denen er sich als „Geisel“ bezeichnete und den Amerikanern von Chinareisen abriet. Die westliche Gemeinde in Peking war außer sich vor Angst.
Man mußte auf die Leserbriefe in der International Herald Tribune warten, um in einem meinungsführenden Blatt des Westens wieder andere Stimmen zu hören: Unsere Vorwürfe ignorierten das chinesische Taktgefühl, das sich aus dem Respekt für das Individuum und der Bereitschaft zusammensetze, den anderen so zu behandeln, wie er einen selbst behandelt, schrieb ein Leser. Doch für Taktgefühl, zumal in kulturell schwer verständlichen Welten, bleibt den Medien in Kriegszeiten keine Zeit.
Längst sind die Bomben auf die chinesische Botschaft vergessen. Keine Träne haben wir den drei toten chinesischen Kollegen nachgeweint. Jetzt geht es vielmehr darum, die „Irrationalität“ der Chinesen zu erklären, von der die New York Times spricht, um gleich die Auflösung der 1997 unterzeichneten „strategischen Partnerschaft“ zwischen den Vereinigten Staaten und China zu empfehlen. Die zweite Front darf jetzt nicht durch diplomatische Bemühungen gekittet werden. Sie verspricht – vor allem in Amerika – mehr Schlagzeilen als der Krieg im Kosovo.
Da gibt es zum Beispiel die unterstellte Atomspionage eines Amerikaners chinesischer Herkunft, die uns die Möglichkeit gibt, die Gefahr einer fernöstlichen Atommacht zu beschwören. Weiter geht es im amerikanischen Wahlkampf mit der Anschuldigung, Clinton habe vor Jahren Spenden vom chinesischen Geheimdienst kassiert. Und nun besitzt Peking auch noch die Frechheit, keine weiteren Zugeständnisse für den geplanten Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WHO) zu machen. „Dem muß widerstanden werden“, empfiehlt das britische Wirtschaftsmagazin Economist.
All diese Härten gegenüber China lassen sich publizistisch um so besser verkaufen, als uns die amerikanische Botschafterin bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nation, Nancy Rubin, die Gegnerstaaten im Krieg um die Menschenrechte gerade fein säuberlich aufgelistet hat. Rubin ist besonders stolz darauf, die „Menschenrechtsverletzungen in Kuba, China und Serbien“ aufgezeigt zu haben. Da ist es, unser mediales Taktgefühl: Wir nennen China und Serbien einfach in einem Atemzug.
Es gab einen deutschen Diplomaten in Peking, der davon nichts verstand: Wenn wir ihre Botschaft bombardieren, können wir uns doch nicht beschweren, wenn sie mit Steinen zuückwerfen, sagte der Spielverderber. Es gibt auch noch ein paar Politiker, die nicht in den antichinesischen Chor einstimmen: Schröder und Chirac forderten gestern völlig unzeitgemäß die Aufnahme Chinas in die WHO. Doch man kann davon ausgehen, daß Clinton sich nicht vom Sachverstand leiten läßt, sondern von den in den Medien gepflegten Ressentiments. Georg Blume
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