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Wann die Großen flunkern dürfen

■  Werbung, das weiß wirklich jedes Kind, ist manchmal gelogen. Wie Pädagogen und Medienwächter den Kleinen in einem Baukasten nahebringen, daß Reklame dennoch gut ist

Zu den frühesten Fernsehbildern, die ein knapp Dreißigjähriger im Keller seiner Erinnerung aufstöbern kann, gehört ein rechteckig brauner Schokoladenriegel, der offensichtlich in Milch schwimmt. Diese Neuigkeit hinterließ nachhaltig Eindruck: „Der schwimmt sogar in Milch!“ Keine Frage, daß der Zauberriegel umgehend organisiert werden mußte.

Ein klarer Fall mangelnder Urteilsfähigkeit, wie er weitverbreitet ist unter den Kurzen. Denn mißverständlich plappert Werbung morgens aus dem Radio, wartet auf beleuchteten Plakaten an verregneten Bushaltestellen und lauert vor allem im Fernsehen, wo Spots als kurzweilige Kolonnen durchs kindliche Gemüt fräsen. Klotzige acht Milliarden Mark haben deutsche TV-Sender 1998 an Werbung verdient, 80 Prozent aller 4-14jährigen sehen täglich fern – ein Umstand, der sich zu einer kulturellen Konstante gemausert hat: Werbeslogans fließen in den Wort-, Werbemelodien in den Liedschatz ein.

Um hier mal ein bißchen Verantwortung zu zeigen, hat die NRW-Medienanstalt LfR, die nicht immer weiß, wohin mit ihrem erhaltenen Geld, eine Studie über Fernsehwerbung und Kinder in Auftrag gegeben. Da förderte sie Verblüffendes zutage: „Der Umgang mit Werbung“ werfe „insbesondere für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter“ Probleme auf: mangelhafte „Medien- und Werbekompetenz“. Auf diesen Ergebnissen fußt nun der trojanische Baukasten „Kinder und Werbung“, eine gelbe Schachtel im Ravensburger-Format, die Vor- und Grundschulpädagogen als eine Art Erste-Hilfe-Set dienen soll. Mit Zubehör wie Hörspielkassette, Video, CD-ROM und Spielkarten wird das Kind ermuntert, sich schon mal spielerisch in die bunte Werbewelt einzufädeln, bevor es ganz allein in die umschwärmte Zielgruppe der 14- bis 49jährigen hineinwächst.

Begleitet wird es dabei von Schlundz, der zentralen Figur des Kastens. Das glubschäugige Monster ist nicht nur angelehnt an die vergnügten Trickfiguren auf Cornflakes-Packungen („Am frühen Morgen schon gut drauf sein? Wie das?“) und deren Abenteuer („Kroko King und seine Helfer haben die gesamten Cerealienvorräte und die geheimen Rezepturen geplündert!“), sondern auch ein Nachfahre des berüchtigten Fehlerteufels. Wie jener einst Schülern die Fallstricke der Orthographie vorführte, so soll Schlundz den Weg zur Werbekompetenz weisen. Wer macht Werbung? Wer gibt Werbung in Auftrag? Warum senden die Sender Werbung?

Was ist eigentlich Werbekompetenz? Und müssen Kinder wirklich für lockende Botschaften „sensibilisiert“ werden, die ohnehin wie ein tieffliegendes Geschwader über sie hinwegdonnern? „Statt einer werbefreien Insel für Kinder wollen wir eine Anleitung zur Bewohnbarmachung der Landschaft entwickeln“, meint Medienanstaltsdirektor Norbert Schneider, der nicht immer weiß, wohin mit seinen Worten.

Schlundz jedenfalls weckt Verständnis für das System, macht es mit praktischen Antworten transparent, zeigt, wie Jingles und Spots produziert werden, beleuchtet die Arbeit von Werbeagenturen und entlarvt damit selbst die animierte Armada der Happy Hippos („In jedem siebten Ei!“) als gedungene Verkaufsspezialisten. Wie übrigens auch die Landesmedienanstalten in Hessen und Rheinland-Pfalz, die im Begleitheft für die PädagogInnen Werbung als „künstlich erzeugte Welt“ darstellen, „deren Ziel es ist, Absatz und Konsum, aber auch Ideen, Ziele und Image zu fördern“.

Aufklärung nach dem Baukastenprinzip sozusagen, die der kommerzialisierten Kindheit statt werbefreier Schutzzonen werbebewußte Didaktik angedeihen läßt. Auf dem Weg zur Mündigkeit etwa erfahren Schüler, daß „hinter der bunten Fassade von Werbung ein hohes Maß an Planung und vielfältigen Aufgabenstellungen“ lauert, wie Merchandising funktioniert, was ein Stereotyp und was ein Produktverbund ist.

Anschließend können die gedrillten Kids sogar eine eigene Werbekampagne starten, damit ihr „ein großes Stück des Zaubers genommen wird, der sie umgibt“ – der Werbung wohlgemerkt, nicht der Kindheit. Deren Entzauberung ist nämlich erst dann komplett, wenn der Glaube an das Gute in der Margarine, an bessere Buntstifte oder „das Beste aus drei Viertellitern Milch“ gebrochen ist.

Schwimmt sogar in Milch? Kläglich abgesoffen ist damals der Riegel und hat das kindliche Urvertrauen so gestört, daß sich das Produkt nie wieder von dem verlogenen Slogan erholen konnte. Ob's an fehlender Werbekompetenz lag? Arno Frank

Baukasten „Kinder und Werbung“ (98 Mark) erscheint im Kopäd-Verlag (Tel.: (089) 689 19 12).

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