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My private Kosovo

■ Ein kleiner Bericht über die alltägliche Kriegsinfiltration

Am Wochenende auf dem Balkon, mit einem Buch in der Hand. Kommt gut. So gut wie der Wasserbeutel von oben: Die Präzision der Neueingezogenen nimmt stündlich zu. Mitten rein ins nikkende Taubenvolk. „Uuuuuund Treffer!“ ruft einer. Ein wildes Geflatter. Zurück bleiben die Haferflocken, die Frau Ruperta auf den Hinterhofboden gestreut hat.

Die Tauben gehen auf Distanz, hocken sich auf die Dachrinne des Hinterhauses. Zweite Angriffswelle: Harterbsenbeschuß. Blaßgrün titschen sie zwischen die Mülltonnen. Eine verirrt sich auf der Dachterrasse. Klaro, die Spannkraft der Feder ist hin. Also Feuerpause.

Die einzige weiße Taube hebt das Hinterteil und drückt. Unten klatscht es. Postwendend segeln zwei Fetzen Wurstpelle aus dem Parterrefenster ins Hofkarree. Bis auf eine, die Wache schiebt, sakken alle Tauben vom Rinnenrand und öffnen die Flügel zum Landeanflug. Meine Kleine, sie ist jetzt fünf, stellt sich mit einer Handvoll Salzstangen auf ihre Zehenspitzen und beäugt das Schlachtfeld.

„Papa, darf ich Frau Ruperta ein bißchen helfen?“ Mit dem Zeigefinger weise ich auf ihre Mutter in der Küche und verabschiede mich in Richtung Toilette. Liebend gern würde ich im Stehen pinkeln. Aber die Frauen haben die Fehlschüsse satt. Sie lauschen und prüfen hinterher die Brille.

„Papa“, brüllt Sohnemann: „Nachrichtenzeit!“ Er tut alles, um mich an meine neuen Gewohnheiten zu erinnern: Seit Kriegsbeginn drei, vier Tagesschauen und mindestens eine Sondersendung pro Tag. Macht netto zwei Stunden TV-Zuschlag für ihn.

Kürzlich hat er, traumvergessen, vom Hochbett gepißt. Mitten rein in sein liebevoll in Stellung gebrachtes Gummisoldatenheer. Als ich morgens aufstand, war er dabei, den umgestrullten Kriegern die letzte Ehre zu erweisen. In Streichholzdöschen mit aufgemalten Deutschlandfahnen. „Hier war ein Nachtangriff“, sagte er. „Aber die Brände sind schon gelöscht.“ Stunden später, auf einem Grillfest im Volksgarten, steckte uns eine Bekannte deshalb die Visitenkarte ihres Therapeuten zu. „So was muß einfach zur Sprache gebracht werden“, sagte sie und schaute so todernst wie Sohnemann am Morgen.

Von der Startrampe eines Nato-Flugzeugträgers geht der obligatorische Archiv-Jagdbomber gen Himmel ab. Der Haustürgong tönt. Sonntag, Opa-Tag. Sohnemann wartet, bis der Moderator zurück im Bild ist. Dann stürzt er zur Tür.

Jubelgeschrei. Mit einer grünen Wasserwumme kommt er zurück und legt auf seine Schwester an. Sofort rollt sie sich zur Seite weg hinter den Sessel und ruft: „Fang mich doch, du Eierloch!“

„Dann wollen wir erst mal einen vormöseln, was?“ murmelt Opa und zückt die mitgebrachte Weinflasche. Wie immer sind wir sofort in medias res. Die potentiellen Massaker, die potentiellen Massengräber, die potentiellen Absichten ...

„Papa, was ist denn Potenz?“ fragt Sohnemann, ohne das Fernsehbild aus den Augen zu lassen. „Später mal erklär ich's dir!“

... die potentiellen Fehlschüsse, die potentiellen Protestwähler ...

„Und ich“, sagt die Kleine stolz, „ich habe Auffanglagerkuchen gebacken!“ Opa schaut verdutzt. Dann schürzt er würdigend die Lippen. „Wir haben ihn Frau Ruperta geschenkt, damit sie ihre Tauben füttern kann.“

„Du mußt wissen“, erkläre ich, „daß die Neueingezogenen alles tun, um sie zu vertreiben.“ Opa kippt das Glas. „Ja“, sagt er nikkend, „du weißt ja, daß auch deine Mutter als Schlesierin eine Vertriebene war. Schrecklich, diese Entwurzelung! Das vergißt man nie.“

Ein scharfer Pfiff aus der Küche. Ich gehe rüber, um die Ente zu zerlegen. Maria hat Gift im Blick. „Früher wurde die Vertriebenenfrage doch mit dem Hinweis auf die Nazi-Schuld storniert!“ – „Da war Opa ja auch noch Marxist“, sage ich und schlitze den Entenbauch auf.

„Papaaa!“ Der Sirenenruf der Kleinen. Vom Balkon. Ich spurte. Wir spurten. „Da!“ Wir folgen ihrem Zeigefinger über die Brüstung hinab. Eine Taube liegt im Haferschleim. Der Rücken ist aufgerissen. Ein Flügel flappt noch. Oben klatschen sie Beifall. Unten bebt Frau Rupertas Stimme durchs geöffnete Fenster. Sie fordert Polizei an. „Und zwar den Kommissar!“

„Die Ratten waren's“, ruft einer von oben. Dann singen sie im Chor: „Die Ratten waren's, die Ratten waren's!“

„Seit hier gefüttert wird,“ brüllt eine Frauenstimme, „Sind sie überall!“

„Wer denn“, fragt Sohnemann, „Die UÇK?“ – „Die Schwachen“, sagt Opa und nimmt einen tiefen Schluck, „die Schwachen sind immer die Opfer.“ – „Und wer sind die Mörder?“ motzt Maria. „Die Gärtner?“ Sohnemann fährt dazwischen: „Mama! Bei der Armee gibt's keine Gärtner!“

„Jedenfalls gehören die Milos eingelocht“, raunt Opa, „und zwar rund um die Welt!“ Er tätschelt Sohnemanns Kopf. „Um deine Zukunft zu sichern, weißt du, mein Großer!“ Sohnemann schaut auf: „Und wann kann ich zur Nato, Opa?“

„Laß den Jungen da raus“, ruft Maria. „Die Leichenberge der Edelhumanisten sind nicht schöner als die andern!“ „Hey!“ ruft Opa zurück und hebt das Glas. – „Meine Schwiegertochter ist ja eine Kriegstheoretikerin!“ Und er lacht, daß es schallt.

„Über den Krieg darf man nicht lachen, Opa“, wirft Sohnemann ein. „Das hat meine Lehrerin gesagt!“

Fünf Tauben sitzen auf dem Rinnenrand. Stumm und reglos. Als hielten sie Totenwache. Dann segelt die Fetteste von ihnen hinab und schnappt sich die letzte Wurstpelle. Den Schuß der Gaspistole scheint sie nicht zu hören. Ich wende den Blick ab und sehe den Polizeihubschrauber am Himmel stehen. Offenbar hat Frau Ruperta Beziehungen – nach ganz oben. Christoph Vormweg

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