Cream of Crime: Das finale Grinsen Gottes
■ Metaphysik im Thriller-Format: In James Morrows „Das Gottesmahl“ pfeifen sämtliche Erzengel auf dem letzten Loch
Auch wenn Science-fiction auf James Morrows Roman „Das Gottesmahl“ draufsteht und er den World Fantasy Award gewonnen hat, ist er weder Science-fiction noch Fantasy. Er ist allerdings auch kein Polit-Thriller, schon gar kein Exemplar des momentan so beliebten Vatikan-Thrillers und ebensowenig ein reiner Kriminalroman. „Das Gottesmahl“ ist, wenn überhaupt Schublade, das erste mir bekannte Exemplar eines „Metaphysik-Thrillers“. Und – irgendwie doch ein Krimi. Denn schließlich geht es um einen, gar mehrere Mordanschläge. Auf eine Leiche. Gott. Denn Er ist tot. Einfach so dümpelt Sein Leib im Golf von Guinea. Die Erzengel pfeifen auf dem letzten Loch, die Cherubim sterben schwarmweise. Die transzendentale Krise ist endlich da.
Das muß auch Anthony van Horne erfahren, ein Bruchkapitän, der seinerzeit die „Exxon Valdez“, ähh, die „Karpag Valparaiso“ auf ein Riff gesetzt und den Golf von Mexiko mit dem auslaufenden Öl versaut hatte. Aber der tote Gott bietet ihm die Chance zur Rehabilitation. Mit letzter Kraft, also bevor ihm die letzten Federn ausgehen, heuert Erzengel Rafael van Horne an, den Heiligen Leib in die Arktis zu schleppen, wo er, vor Mißbrauch sicher, eingefroren werden soll. Ihm zur Seite steht Thomas Ockham, ein vom Vatikan beauftragter Jesuit, der reputierliche Monographien wie „Die Mechanik der Gnade“ und „Superstrings und Erlösung“ verfaßt hat. Eile ist geboten, weil OMNIPATER, der päpstliche Zentralcomputer, eine Frist ausgerechnet hat, während der die Neuronenströme in Gottes zentralem Nervensystem noch fließen. So beginnt ein herrlich abgedrehtes Wettrennen, in dem allerlei praktische und theologische Probleme zu meistern sind.
Der evidente Tod des höchsten Wesens bringt nicht nur metaphysische Verwirrung unter die Menschen, sondern auch logistische Probleme: Die Leiche, drei Kilometer lang, ist nur schwer ins Schlepptau zu nehmen (“Towing Jehova“ heißt deswegen das Original). Und dann kommt der Mordplan ins Spiel. In der Rolle der Mordgesellen die radikalfeministisch verstärkte Vulgäraufklärung, die dem klerikalen Patriarchat den endgültigen Gottesbeweis post mortem nicht gönnen will. Als Killer wird eine völlig durchgeknallte Truppe von Große-Schlachten-des-Zweiten-Weltkriegs-Nachspielern eingekauft, die das seltsame Abschleppgut mittels des alten Flugzeugträgers „USS Enterprise“ auf den Meeresgrund bomben soll.
Mehr wird nicht verraten. Nur soviel noch: „Das Gottesmahl“ ist ein extrem witziges, intelligent albernes und kluges Buch (das auch recht flott übersetzt ist, aber an der Entscheidung leidet, Bezugsgrößen einzudeutschen: Ein „Thomas Gottschalk der Meere“ stört einfach). An den wunderbaren Blasphemien (z.B. ergibt sich ein Versorgungsengpaß, und die Schlepperbesatzung muß das Abendmahlritual plötzlich sehr wortwörtlich nehmen) und der scharfzüngigen Kasuistik des Jesuiten Ockham hätte auch G. K. Chesterton, dessen paradoxen Geist das Buch atmet, seine Freude gehabt. Monotheismus und platter Rationalismus werden mittels der actionreichen und spannenden Handlung bis an ihre extremen Grenzen ausgereizt und frieren ein wie Sein finales Grinsen. Weil sich für einen anständigen Metaphysik-Thriller auch eine handfeste Ordnungsmacht ziemt, tritt als solche der „kategorische Imperativ“ auf. Als Retter in höchster Not. Da kann Gott getrost tot sein, was wohl auch Seiner Absicht entsprochen haben dürfte. Thomas Wörtche
James Morrow: „Das Gottesmahl“. Roman. Deutsch von Horst Pukallus. Heyne Verlag, München 1999, 494 Seiten, 19,90 DM
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