: Wenn's zu Hause nicht stimmt ...
Im Wahlkampf für das europäische Parlament: Vom Versuch des CDU-Abgeordneten Georg Jarzembowski, Hamburger WählerInnen Europa ans Herz zu legen ■ Von Gernot Knödler
Georg Jarzembowski haßt es, zu spät zu kommen. Mit einer Stofftasche voller Broschüren steht der Spitzenkandidat der Hamburger CDU für die Europawahl in der Poststraße und wartet auf seinen Wahlkampfhelfer Hans Arno Petzold. Der soll ihn mit dem Auto abholen, aber dann hat die Batterie des Wagens schlappgemacht, und jetzt dauert es erstmal. Nicht einfach zu ertragen, so etwas, zumal für einen „Sicherheitsfanatiker“ wie Jarzembowski. Steht Brüssel auf seinem Programm, dann läßt er sich immer um 4.40 Uhr wecken, damit er ja rechtzeitig den Sieben-Uhr-Flieger ab Fuhlsbüttel erreicht.
Endlich rollt Petzold mit dem geleasten Wahlkampf-BMW aus der Tiefgarage. Der Europa-Abgeordnete Georg Jarzembowski, Regierungsdirektor a.D., Sprecher der Europäischen Volkspartei im Verkehrsausschuß, Vizepräsident der Japan-Delegation des Europäischen Parlaments und Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Hamburg-Mitte, ist endlich auf dem Weg dorthin, wo er seine Wähler vermutet: nach Langenhorn-Nord.
Im Wohngebiet Essener Straße ist die Welt auf den ersten Blick in Ordnung: Ein- und Mehrfamilienhäuser, sattgrüne Bäume, dahinter der adrette Klinkerplatz des Einkaufszentrums Käkenhof, wo der CDU-Ortsverein ein halbes Dutzend Biertische aufgestellt hat und einen Sonnenschirm. Aus zwei Lautsprechern vor einem bunt besprühten Bauwagen schallt: „Im Wagen vor mir fährt ein schönes Mädchen.“ Jemand verkündet: „Talk-Show mit Dr. Georg Jarzembowski“. Doch daraus wird nichts. Weil nur ein halbes Dutzend mittelalter Herrschaften gekommen ist und ein Haufen Teenager, redet Jarzembowski lieber direkt mit den Leuten.
Zum Beispiel mit Reiner Reitz. Der kleine Mann mit dem roten Kopf ist eigens aus Osdorf angereist, weil er sich Sorgen macht um den Standort Deutschland. Falls die Mehrwertsteuer zwischen der EU und der Schweiz angeglichen werde, sehe er schwarz, sagt er. Außerdem befürchtet er Arbeitsplatzverluste bei der Lufthansa, falls das Flugbenzin besteuert wird.
Jarzembowski, der gleich nach der Ankunft in Langenhorn zum dritten Glas Weißwein gegriffen hat, sieht das mit der Mehrwertsteuer „anders“. Steuern aufs Flugbenzin hält auch er für einen Fehler. Sie führten bloß zu „Umwegverkehren“: Flieger aus Finnland auf dem Weg nach Deutschland würden in Estland billig tanken. „Deswegen meine ich: Runter mit der Mehrwertsteuer bei der Deutschen Bahn“, sagt Reitz leidenschaftlich, worauf Jarzembowski plötzlich in überlauten Beifall ausbricht – allerdings bloß, weil drei Mädels gerade ihren Karaoke-Auftritt zu Ende gebracht haben.
„Ich darf sie darauf aufmerksam machen, daß wir da drüben ein ganz heißes Thema diskutieren“, schaltet sich eine Fünfzigerin mit graublondem Wuschelkopf ein. Doch Reiner Reitz mit seinem „Baden“-Anstecker am Revers ist noch nicht fertig. Er fahre „seit 18 Jahren regelmäßig an den Bodensee“ und dafür sei die Bahn viel zu teuer. „Ich glaube, da muß man viel flexibler sein“, sagt Jarzembowski, um mit einer „allerletzten Frage“ von Reitz konfrontiert zu werden, der Wahlbeteiligung. „Rühren Sie nicht an meinen wunden Punkt“, seufzt der Abgeordnete. „Wir haben den Leuten die Bedeutung des Europäischen Parlaments nicht vermitteln können.“ Wie auch: Langenhorn-Nord hat andere Probleme. Der Spar-Laden am Platz hat vor einem halben Jahr dichtgemacht, der Wochenmarkt wurde mangels Interesse aufgegeben, im Viertel leben 30 Prozent Ausländer, und in den Kiosk nebenan ist kürzlich zweimal eingebrochen worden, sagen die Leute.
„Die Ausländer lehnen den Kontakt mit uns ab“, klagt Hannelore Korn, die Frau mit den Wuschelhaaren. „Warum sind die Menschen so?“ fragt sie sich. „Das sind die Mentalitätsunterschiede“, antwortet Jarzembowski vorsichtig.
Ein wenig später hat sich der CDU-Mann den vierten Becher Weißwein bringen lassen und muß sich am Nebentisch anhören, wie ein grauhaariger Mann mit Nußknackerkinn prüft, ob der Wahlkreisabgeordnete sein Geld wert ist: „Ich rechne immer 13 durch fünf“, rechnet der Nußknacker vor, wobei er von Tausendern in Diäten und Tagen in Brüssel spricht. Immerhin räumt der „Mitgründer der Statt Partei“ ein, daß Brüssel ein teures Pflaster ist: Mit seiner Frau sei er einmal dort gewesen. „Nach einem Tag war das Geld alle.“
Unberücksichtigt blieben bei der Rechnung des kritischen Wählers die drei Sitzungstage des Europäischen Parlaments in Straßburg, unberücksichtigt blieb auch, daß der Familienmensch Jarzembowski bewußt Hamburg als seinen Lebensmittelpunkt behalten hat. Die Wochenenden schaufelt er sich für seine Frau und seinen fünfeinhalbjährigen Sohn frei. Denn: „Wenn's zu Hause nicht stimmt – wie wollen Sie dann Europa schaffen?“
„Was können Sie in Brüssel überhaupt bewegen?“, fragt der Mann von der Statt Partei. „Ich geb' Ihnen ein Beispiel“, setzt der Europarlamentarier an und kneift die Augen zusammen: „Wie hoch die Abgaswerte der Autos in Zukunft sind ...“ – „Wie groß die Kondome sind ...“, unterbricht der Nußknacker ironisch. „Geh er mal auf den Ballindamm, dann wird er merken, wie Autos stinken“, näselt da Jarzembowski.
Gabi Wilkens, eine junge Frau im Fishbone-Sweatshirt und mit langen schwarzen Haaren, führt ihr Kind an den Tisch, um ihm mal jemanden zu zeigen, „der hier in Langenhorn verantwortlich ist“. Ihr Mann macht ein paar Schnappschüsse. „Zwei Drittel der Jugendlichen hier sind drogensüchtig“, sagt Gabi Wilkens, „der da drüben mit der Jacke ist der größte Dealer hier.“ Schräg über den geklinkerten Platz schlappt ein Junge mit weißen Turnschuhen. Wilkens, Mutter von vier Kindern, war früher selbst auf Droge. Jetzt hat sie Angst um „meine Kleinen“.
Jarzembowski, der inzwischen mit dem fünften Becher Weißwein befaßt ist, zupft den Langenhorner CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Klaus-Peter Hesse am Ärmel, der eben aufstehen will. „Bleib mal hier“, sagt er und an die Runde gewandt: „Der ist hier der Spezialist.“
Gabi Wilkens kritisiert, daß das Stadtteil-Café nebenan verkomme, und erzählt von zwei jungen Frauen in der Nachbarschaft, die vor kurzem unbeachtet gestorben seien. Sie zeigt auf einen Backsteinbau am Rande des Platzes. „Hier oben lag eine zwei Wochen tot, war schon halb verwest.“
Die LangenhornerInnen am Tisch sind sich einig, daß da „viel mehr gemacht werden müßte“ und daß die Menschen viel zu sehr aneinander vorbeileben. Hannelore Korn fragt sich, warum es keine zusätzlichen Stellen für Sozialarbeiter gebe? „Man kann nicht immer erwarten, daß der Staat für die Gemeinschaft handelt“, antwortet Jarzembowski ihr.
Weil er nur einen feinen, dünnen Anzug trägt, wird es dem Kandidaten langsam ungemütlich kühl, und er rüstet zum Aufbruch. Vorher verteilt er noch Kugelschreiber. Am CDU-Stand mit dem Sonnenschirm will ihm Gabis Gatte noch die Hand schütteln. „Meine Stimme kriegen Sie“, verspricht der junge Mann mit dem fisseligen Bart. Und als sich Jarzembowski glücklich bedankt, ergänzt der Wähler, ganz in Spendierhosen: „Aber dafür doch nicht.“
Auf dem Heimweg läßt der Kandidat den Reigen der Wahlplakate an sich vorüberziehen: Sein eigenes Gesicht, das von KanidatInnen der SPD und der Grünen und ein CDU-Poster, das den starken Euro propagiert. „Ich finde es wichtig, daß einer weiß, was sich in seinem Wahlkreis abspielt“, sagt Jarzembowski. Politik, das sei der Wettstreit der Ideen und das Gespräch mit den Bürgern. Zufrieden stemmt er sich in seinen Ledersitz und nuschelt: „Wichtig ist, wenn ein Jugendlicher kommt und sagt: Jetzt hab ich endlich mal 'nen Abgeordneten gesehen und dem die Hand geschüttelt – das ist wichtig für die Demokratie.“
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