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Touristin in Sachen Pazifismus

Die einstige Grüne Jutta Ditfurth kandidiert für das Europaparlament – für die griechische „Front der radikalen Linken“. Griechisch spricht sie nicht, und ein Mandat will sie auch nicht  ■   Aus Frankfurt am Main Heike Haarhoff

Erwartbar wäre gewesen, daß sie gleich absagt. Oder daß sie nachfragt: Wie kommen Sie darauf, daß ich kurz vor meiner heißen Wahlkampfphase mal eben einen längeren Interviewtermin aus dem Ärmel schüttele? Aber Jutta Ditfurth ist nur überrascht. Guckt sofort in ihren Kalender.

Die Jahre im medienpolitischen Abseits seit ihrem Bruch mit den Grünen 1991 müssen nicht immer ermutigend gewesen sein für eine, die als 35jährige in einer TV-Elefantenrunde Franz Josef Strauß in den Schatten argumentierte. Und die dann, wenige Jahre später, den karrieretechnischen Fall von der Wortführerin im grünen Bundesvorstand zur Herausgeberin einer in Frankfurt erscheinenden Flugblattpostille ÖkoLinX erlebte. Also schaufelt Jutta Ditfurth ein Gesprächsloch frei, wenige Stunden vor ihrem Abflug nach Athen, wo sie morgen als Listenkandidatin der griechischen „Front der radikalen Linken“ zur Europawahl antreten wird.

Es ist kühl und regnerisch in Frankfurt. Jutta Ditfurth, 47, kommt mit dem Rad ins Café. Sie möchte „lieber draußen“ sitzen. Nicht, weil sie die Luft nach dem Regen so mag. „Ich versuche, soviel wie möglich draußen zu sein, weil ich so oft vor dem Computer sitze.“ Das ist wie Erdbeerkuchen ohne Sahne: diszipliniert, vernünftig, aber nicht eben luststeigernd.

Der Titel ihrer neuesten ÖkoLinX heißt: „EU-Europa? 'nen Tritt in den Arsch!“ Kein Widerspruch zu ihrer EU-Kandidatur, findet sie. Aber bevor sie darüber spricht, hat ihr ständiger Argwohn noch eine Frage: „Und du bist dir ganz sicher, daß dein Artikel nicht zensiert wird?“ Es sei ihr so oft passiert: Redakteure bäten sie um Statements, um die „aus politischen Gründen“ dann doch nicht zu publizieren. Bei einem Verleger sei sie als „schwierige Autorin“ angeschwärzt worden. Ditfurth – der die für plumpe Stimmungsmache nicht eben bekannte Zeit einst das Prädikat „begnadete Demagogin“ verlieh – fühlt sich heute verfolgt, verkannt, zensiert.

Daß das Desinteresse weniger auf ihre Person denn auf ihre Position zurückzuführen sein könnte, die seit 25 Jahren Imperialismus auf der einen und Unterdrückung auf der anderen Seite erkennt und dazwischen so bedauernswert wenig, hält sie für abwegig: „Viele Medien haben Schwierigkeiten, Leute darzustellen, die Rot-Grün kritisch sehen.“ Kann so eine nur noch im fernen Griechenland politisch was werden? Da wird sie schroff. „Ich habe nicht geguckt, wo und ob ich für irgendwen kandidieren kann.“ Vielmehr hätten griechische Linke, „die meine Bücher und Artikel seit Jahren diskutieren“, sie „gebeten“. Das tut gut.

Griechisch spricht sie nicht, auch sonst hat sie „keine enge Beziehung zu Griechenland außer als Touristin“, aber immerhin „waren 98 Prozent der griechischen Bevölkerung gegen den Krieg im Kosovo“. Das eint. Und so begreift Ditfurth ihre Kandidatur als „Solidarität“, „als eine spezielle Form der Anti-Kriegs-Aktion“. Den Wahlerfolg schätzt sie optimistisch „gering“ ein.

Daß der Spitzenkandidat ein Mann ist – die Feministin Ditfurth erwähnt es wie beiläufig. Ihren Einzug ins Europäische Parlament könnte der ihr ohnehin nicht vermasseln – sie will keinen Sitz in Straßburg. Und sollte die „Front der radikalen Linken“, die sich gegen den Krieg, gegen die EU, gegen die Weltbank, gegen Gentechnik, Bioethik, kurz: gegen das Böse wendet, wider Erwarten punkten, würde sie zurücktreten.

Die Frau hat ihr politisches Ziel längst gefunden: „Möglichst alt werden und dem Kapitalismus, der jetzt auch noch kriegsfähig ist, möglichst viel geschadet haben.“ Konkret heißt das: NPD-Demos in Leipzig verhindern zu versuchen oder in Köln mühselig EU-Gegengipfel zu organisieren. Und dann lacht sie. Ein bißchen wie über sich selbst.

Solche Momente sind selten. Jutta Ditfurth ist keine, die aus zeitlicher Distanz Gelassenheit schöpfen und zugeben würde: Vielleicht habe ich mich im Ton vergriffen, 1987 zum Beispiel, während einer Debatte zur Volkszählung, von der die Medien später berichteten, sie habe von einer „Vorstufe zur Massenvernichtung“ gesprochen. „Alles Quatsch, was da geschrieben wurde.“ Sie ist keine, die selbstzweifelnd fragen würde: War es richtig, zehn Jahre nach dem Deutschen Herbst dem Staat „nichts so sehnsüchtig wie den Terror, den Schrecken“ zu wünschen, „um von seiner alltäglichen Gewalt abzulenken“?

Niemals einlenken, statt dessen lieber Verbündete verlieren. In ihrer „Bewegung“ wenden sich viele einstige Mitstreiter von der „schrillen Querulantin“ ab. Den Richtungsstreit mit den Grünen hat Jutta Ditfurth vor langer Zeit verloren; verwunden ist er nicht. Als „Radikalbolschewikin“, als „bürokratisch orientierte Politikerin mit Sektenperspektive“ hatten die grünen Realos Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer die einst bekannteste Fundi-Frau Deutschlands wegen deren Totalverweigerung von Rot-Grün beschimpft.

„Zeitverschwendung“ sei es, sich auseinanderzusetzen mit Fischer und sonstigen „Mittätern und Profiteuren“, die ihre Politik gegen Diäten getauscht hätten. „Die hatten doch alle nur Angst, marginalisiert zu werden.“ Und dann geht es eine knappe Stunde doch nur um die Grünen, um den Außenminister, diesen „komplett spießigen Parvenue“. Ihr Ziel ist eine „richtige“ außerparlamentarische Opposition, „und die Geschichte gibt mir ja recht: Gesellschaftliche Umbrüche sind nie durch Parlamente angestoßen worden.“ Warum dann bloß die Kandidatur für das Europaparlament? Bloß weil es so einfach ist, sich auf diese Weise politisch wieder Gehör zu verschaffen?

Am Wahltag selbst wird sie bereits wieder aus Griechenland abgereist sein. Weil sie in Deutschland von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen will? Sie schaut belustigt. „Nee.“ Dann: „Da ist doch niemand Wählbares.“

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