: Der Richter ist kein Henker
Das Todesurteil gegen den PKK-Chef Öcalan behagte dem Richter nicht. Die Zuschauer aber jubelten ■ Aus Imrali Jürgen Gottschlich
Am Ende ging alles ganz schnell. Sichtlich mitgenommen, mit einer Stimme, die vor Nervosität immer wieder abbrach, verkündete der Vorsitzende Richter Turgut Okyay das Todesurteil für den PKK-Führer Abdullah Öcalan.
Es waren nur wenige Sätze, die Okyay vom Blatt ablas. Nach Paragraph 125 des türkischen Strafgesetzbuches verurteilte das Staatssicherheitsgericht Ankara Öcalan wegen Hochverrats. Der Chef der PKK wurde der Bildung und Führung einer terroristischen Vereinigung mit dem Ziel der Spaltung des türkischen Staates für schuldig befunden.
Obwohl Okyay für die Verlesung des Todesurteils nur wenige Minuten brauchte, wartete Öcalan die Urteilsbegründung nicht mehr ab. Er grüßte ein letztes Mal mit erhobenem Arm in Richtung seiner Verteidiger und verließ dann abrupt den Glaskasten, in dem er die zehn Prozeßtage verbracht hatte.
Richter Okyay verzichtete auf die theatralische Geste, einen Bleistift zu zerbrechen, mit der normalerweise ein Todesurteil symbolisiert wird. Das besorgten an seiner statt die Angehörigen gefallener Soldaten, die sogenannten „Märtyrer – Mütter und Väter“, von denen rund 50 als Nebenkläger im Gerichtssaal saßen. Gleich im Dutzend wurden Bleistifte zerbrochen und in die Luft geworfen.
Okyay war noch nicht ganz fertig, als die Angehörigen bereits die Nationalhymne anstimmten und türkische Fahnen schwenkten. Zwei ertrugen die Gemütsbewegung nicht und fielen noch im Gerichtssaal in Ohnmacht.
Zu Beginn des gestrigen Tages hatte das Gericht gerade Platz genommen, als Öcalan bereits aufsprang, um sein Schlußwort zu halten. Mit starrer Mine sagte er: „Ich weise den Vorwurf zurück, an der Spaltung und Zerstörung des Landes gearbeitet zu haben.“ Und er habe „für eine demokratische Republik und nicht gegen die Republik gekämpft. Ich glaube an die demokratische Republik und ich glaube, daß die Zukunft unseres Landes nicht im Krieg sondern im Frieden liegt“. Ausdrücklich verwahrte er sich gegen den Vorwurf des Separatismus. „Ich habe für die Freiheit in der Einheit gekämpft“.
Auf Drohungen verzichtete er allerdings. Statt dessen appellierte Öcalan an die staatlichen Institutionen und die gesellschaftlichen Kräfte, ihre Verantwortung für eine friedliche Zukunft wahrzunehmen. „Ich hoffe“, sagte er abschließend, daß „dieser Prozeß dazu beiträgt, die historischen Irrtümer zu korrigieren und nicht die Fehler der Vergangenheit weiter anwachsen läßt“.
Nach nur eineinhalb Stunden war alles vorbei. Während im Hafenort Mudanya hunderte türkischer Nationalisten „ihren Sieg“ feierten, begannen auf der Gefängnisinsel Imrali bereits die Aufräumungsarbeiten. Für den letzten Prozeßtag hatte der Sicherheitsapparat zuvor alles aufgeboten, was moderne Überwachungstechnik zu bieten hat. Um fünf Uhr früh mußten Prozeßbeobachter in der Jandarma-Kaserne in Mudanya antreten, um sich ihre Fingerabdrücke und einen Netzhaut-Scan abnehmen zu lassen. Dreimal mußte man anschließend an verschiedenen Sperren – vor Betreten des Schnellbootes nach Imrali, bei Betreten der Insel und vor Eintritt in den Gerichtssaal – einen kleinen Monitor passieren, fest in sein Spiegelbild schauen und warten, bis eine Computerstimme bestätigte: „Verifiziert“.
Um Imrali herum schirmten Fregatten der Kriegsmarine in einem Radius von 10 Seemeilen den Ort des Geschehens ab, Hubschrauber kreisten und unablässig patroullierten Kampfschwimmer in Schlauchbooten. Das alles aber vollzog sich professionell, gegenüber ausländischen Journalisten höflich und geradezu zuvorkommend.
Der bislang so souveräne Gerichtsvorsitzende Turgut Okyay fühlt sich allerdings sichtlich unwohl. Während der vergangenen Verhandlungstage hatte er zur Überraschung fast aller Prozeßteilnehmer gezeigt, daß auch unter den verschärften Bedingungen des Staatssicherheitsgerichts ein Dialog mit dem Angeklagten möglich ist. Öcalan konnte reden, so oft er wollte, und der Richter fragte sogar dann nach, wenn der Angeklagte über das Leiden des kurdischen Volkes sprach.
Doch bei aller persönlichen Liberalität des Vorsitzenden Richters war doch immer klar: gegen Öcalan nicht die Todesstrafe zu verhängen, wäre einem Justizputsch gleichgekommen. Nach den Buchstaben des Gesetzes, nach der Erwartung der Regierung und der Militärs und nicht zuletzt nach der großen Mehrheit der Bevölkerung, konnte Okyay nur ein Todesurteil fällen.
Der Fall Öcalan wird nun – wie jedes andere Todesurteil auch – dem obersten Gericht zur Bestätigung vorgelegt. Danach ist das Parlament am Zuge. Ist auch hier eine Mehrheit für Vollstrekkung,kann nur noch Staatspräsident Demirel Apo helfen.
Unmittelbar nach der Urteilsverkündung sagte der Prozeßbeobachter des Europarates, der Italiener Fabio Evangelisti gegenüber der taz, die Türkei müsse sich nun entscheiden, ob sie zum Osten oder Westen gehören wolle. „Es ist schwer vorstellbar, daß die Türkei Mitglied des Europarates bleibt, wenn sie Öcalan hängt“.
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