: Shoppen und Klicken im Prilblumenrausch
Fundgrube Spezial: Summer time, Bummelzeit. Wenn das Balkonleben im Regen ertrinkt und schwarze, fiese Wolken über die Stadt ziehen, stimmt ein Streifzug durch Berliner Wohn-Design-Shops in Ost und West wieder heiter. Ganz sicher ■ Von Heike Gläser
Wenn beim fünften Umzug der IKEA-Schrank im Treppenhaus zusammenbricht, ist es höchste Zeit: Die IVAR-Regale kann kein Mensch mehr sehen, die alten Sperrmüllstühle haben längst ausgedient. Die Wohnung schreit nach Veränderung. Vielleicht ein aufblasbarer Sessel in quietschorange für die neue Wohnung? Oder wenigstens ein paar Wohnaccessoires für frischen Pepp?
Obwohl der große Siebziger-Boom zugunsten der Achtziger abzuflauen scheint, blühen die Seventies im Wohndesigngeschäft „Schönhauser“ prilblumenbunt. Es sieht aus wie bei Muttern vor zwanzig Jahren. Das versetzt manchem Kunden einen gehörigen Flashback. Die Inhaber, Sabine Anweiler und Martin Furtner, verkaufen Secondhand-Möbel. Um die Originale einzukaufen, sind sie europaweit unterwegs. Da steht ein Rührfix in Originalverpakkung, mit dem man kurbelnderweise Sahne schlagen kann, neben Klapptoastern, Handmixgeräten und Erdnußschälchen. Von der Decke baumeln Hängeleuchten, in den Regalen stehen Nachttischlampen und Dekoschalen.
Die Relikte aus der kuschligen Sozialstaatlichkeit sind Anziehungspunkt des kultverdächtigen Ladens. Erinnerungen an die Kindheit zwischen Flokati und Dalli-Dalli-Abenden. Die kleine Welt der Spießbürgerlichkeit, gegen die sich einst die Seelen stemmten, hat wieder Hochkonjunktur – jenseits des guten Geschmacks.
„Wir führen nicht nur Möbel aus den Siebzigern“, sagt Sabine Anweiler, „sondern auch Designerstücke aus früheren Jahrzehnten, beispielsweise die Panton-Stühle.“ Klassiker der ehemaligen DDR sind dabei wie die ostbekannten Hühnchen-Eierbecher. Daneben gibt es Accessoires neueren Datums, vom Plüschkugelschreiber bis zu kullerrunden Aschenbechern, die die Ästhetik früherer Jahrzehnte zitieren.
Ein paar Straßen weiter hat Anfang des Jahres „Atemlos“ eröffnet. Der Zusatz „Wohngalerie“ verrät das Konzept. Hier werden Möbel von internationalen Künstlern verkauft. Auf kleinem Raum stehen bunt bemalte, geschwungene Kommoden, Schränkchen und Klapptische dicht an dicht. Verspielt und alles andere als zeitlos kommen sie daher. Auf Wunsch werden sie individuell angefertigt.
Andreas Eggert betreibt sein Geschäft mit zwei Teilhabern, die die Möbel im Fränkischen entwerfen und bauen. Daneben gibt es Möbel von Künstlern aus Italien, Frankreich oder den USA: Seidenbemalte Deckenleuchten, Lampen aus buntem Glas, ein gehörnter Thron mit Leopardenfell für Leute mit einem Hang zum Exzentrischen oder eine zebragemusterte Sitzschnecke. Besonders gut verkaufen sich kleinteilige Wohnaccessoires wie Pappmaché-Bilderrähmchen, Zierkugeln mit Tigermuster oder geflügelte Kerzenleuchter, meint Eggert. Er weiß, daß er in puncto Möbeldesign in Berlins Mitte Pionierarbeit leistet.
Im Bauch des Quartiers 207 geht es steriler zu: Technotöne wummern durch die unterirdische Verkaufsfläche, Spaceprojektoren werfen Blubbermuster an die Wände. „DOM – Christian Koban“ prangt auf den Scheiben. „CK“, das klingt wie Calvin Klein. Doch hier geht es um Möbel. Koban ist Inhaber der DOM-Kette, die es mittlerweile auch in Paris, Amsterdam und New York gibt.
Die Laufkundschaft gerät eher zufällig in diese artifizielle Welt. Meist verirren sich Touristen aus dem Untergeschoß des Lafayette hierher. Ein junger Vater wird nervös, weil sich sein Sprößling in einem 8.000 Mark teuren Ball-Chair lümmelt, einer aufgeschnittenen Halbkugel aus Fiberglas, die an einer Aufhängung baumelt: Sechziger- und Siebziger-Jahre-Design aus Finnland, erklärt Geschäftsführer Alexis Rada. Das Sitzmöbel gehört zu einer Spezialedition, ebenso wie die Tomato- und Bubble-Chairs.
Im hinteren Teil des Ladens stöbern sich zwei junge Frauen durch Drehlampen, Vasen und Kerzenhalter. Auf jedem Produkt prangt das Firmen-Logo mit Internetadresse. Damit man es ja nicht vergißt, ist es leuchtend im Fußboden eingelassen. Alle DOM-Geschäfte folgen dem gleichen Konzept: Einerseits preiswerte Designermöbel, wie die eigenproduzierte Aluserie in Form von Betten und Regalen, andererseits ungewöhnliche Stücke, die viel Geld kosten. Virtuell kann man auf der gestylten Homepage shoppen und klicken.
Szenenwechsel. Westberlin. Oliver von Petersdorff und Daniela Pöpel setzen mit „Eigenart“ der aufblasbaren Möbelwelt etwas entgegen. Ihr Schwerpunkt liegt auf Landhausmöbeln im mexikanischen Kolonialstil, die auf drei Etagen in einem loftartigen Fabrikgebäude untergebracht sind. Die Sonne fällt warm auf die Ausstellungsstücke aus Pinien- und Buchenholz. Es riecht nach Fernweh, Urlaub und Erholung. Und so soll es auch sein, „denn das Leben ist anstrengend genug“, meint von Peterdorff.
Das Konzept ist einfach: Sie verkaufen das, was sie selbst gerne kaufen würden. Solide Schränke, stabile Holztische, bequeme Sofas und marokkanische Mosaiktische sind angesagt. Sie wirken zwar weder schrill noch skurril, dafür sind sie noch in einigen Jahren ansehnlich. Das spricht vor allem Leute an, die das Schwarzweiß-Chrom-Ambiente der 80er satthaben. – „Schönhauser“, Neue Schönhauser Str. 18, Mitte – „Atemlos“, Oranienburger Str. 90, Mitte – „DOM“, Quartier 207, Friedrichstadtpassagen, Mitte, www.dom-ck.de – „Eigenart“, Ringbahnstr. 16 / Kurfürstendamm 116, Wilmersdorf
Siebziger-Hits bis DDR-Klassiker, vom ostbekannten Hühncheneierbecher bis zum Rührfix gibt's alles
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