Komentar: Beweisnot
■ Ohne Haftbefehl gegen vermeintliche Terroristen
„Goldene Hakenkralle“ nannte die Bundesanwaltschaft (BAW) die gestrige Razzia in Berlin, dem Wendland, Hamburg und Bremen. Neun Staatsanwälte aus Karlsruhe, 100 Beamte des Bundeskriminalamtes und 200 Polizisten waren unterwegs, um vor allem in Berlin die Urheber militanter Aktionen gegen die Castor-Transporte ausfindig zu machen. Bei genauerem Hinsehen erweist sich die bislang größte Aktion gegen die linke Szene in diesem Jahr eher als ein goldener Schuß in den Ofen. Zwar wurden einige Personen erkennungsdienstlich behandelt. Festnahmen gab es allerdings nicht. Bleibt die Frage, warum der ganze Aufwand?
In ihrer Begründung für die gestrige Aktion behauptet die BAW, zahlreiche Beweise dafür zu haben, daß die beiden Anschlagserien vor allem auf das Konto militanter Castor-Gegner sowie des ehemaligen Anti-Olympia-Komitees gingen. Nicht nur das: Überdies seien den Ermittlern sieben Personen namentlich bekannt, die unter dem Verdacht stünden, eine „terroristische Vereinigung“ gegründet zu haben. Diesen Behauptungen gegenüber steht freilich der bemerkenswerte Umstand gegenüber, daß die Bundesanwälte bei der gestrigen Großrazzia noch nicht einmal Haftbefehle in der Tasche hatten.
Mit der üblichen Kriminalisierungswut gegen die autonome Szene ist diese Aktion freilich nicht erklärt. Anders als in Berlin, wo die Sammelwut eines einzigen Staatsschützers genügt, um die Staatsanwälte auf Trab zu bringen, hielt sich die BAW nach der für sie peinlichen Einstellung des Verfahrens gegen die Zeitschrift radikal im Oktober 1997 auffällig zurück. Selbst die Ermittlungen gegen die Berliner Zeitschrift Interim gaben die Karlsruher an die Kollegen in Berlin zurück. Keine Aussicht auf Erfolg, hieß es zur Begründung.
Welchen Erfolg aber erhoffte sich die BAW bei ihrer gestrigen Aktion? Eindeutige Erkenntnisse werden wohl erst vorliegen, wenn die Anwälte der Beschuldigten die Akten vorliegen haben. Bis dahin darf trefflich spekuliert werden. Auch darüber, ob der Zeitpunkt der Razzia etwas mit den Debatten um die Restlaufzeit der AKW's oder den bevorstehenden ersten rot-grünen Castor-Transporten zu tun hat. Uwe Rada
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