: „90 Cent wären kein Problem“
■ Der Euro kann noch ein Stück tiefer fallen, ohne daß es Probleme gibt, sagt Joachim Scheide, Konjunkturexperte beim Kieler Institut für Weltwirtschaft. Das Problem sei die Wirtschaftspolitik
taz: Unsere neue Währung, der Euro, stürzt weiter ab. Vor einem halben Jahr ist er 1,17 US-Dollar wert gewesen, jetzt kostet er nur noch gut 1 Dollar. Und manche sehen den Euro schon bei 90 US-Cent. Wann kommt der Punkt, an dem die Entwertung auf dem Weltmarkt als Inflation im Inland durchschlägt?
Joachim Scheide: Dieser Punkt wird auch dann nicht erreicht, wenn wir den Wert von 1 Dollar unterschreiten. Je mehr der Dollar steigt, desto teurer werden zwar die Importe von Rohstoffen wie Öl in die Euroregion. Doch der Anteil des Außenhandels ist in Europa relativ gering. Deshalb braucht es noch eine sehr starke Abwertung, bis ein inflationärer Impuls einsetzt. Ein Euro von 90 Cent wäre von daher auch noch kein großes Problem.
Was ist mit einem Euro von 80 oder 70 Cent?
Da muß man sehen, wie sich das auf die Steigerung der Importpreise auswirkt. Die müssen schon um fünf Prozent anziehen, damit so etwas fühlbar wird.
Leute, die schon einmal eine Inflation mitgemacht haben, wollen den Euro nicht mit der Kneifzange anfassen und neigen dazu, ihr Geld sicherheitshalber aus dem Fenster zu werfen. Bei welchem Dollarwert muß man anfangen, sich ernsthafte Sorgen machen?
Das kommt darauf an, was man unter „Sorgen machen“ versteht.
Wird in Deutschland alles doppelt so teuer, wenn der Euro nur noch bei 60 Cent oder 50 Cent stehen sollte?
Das würde natürlich die Inflation in die Höhe treiben, doch ist ein solcher Kurs unwahrscheinlich. Wenn der Wert so weit zu sinken droht, sind allerdings politische Maßnahmen unausweichlich.
Die bisherige Abwertung signalisiert ja auch etwas, sie ist in gewisser Weise ein Gradmesser für die Wirtschaftspolitik. Und die setzt im Augenblick keine besonders guten Zeichen. In der Finanzpolitik hat man Italien gerade ein Schlupfloch eröffnet, wie es sich mehr verschulden kann, und damit den europäischen Stabilitätspakt aufgeweicht. Das schadet dem Vertrauen in die neue Währung.
Außerdem muß es zu Reformen auf dem europäischen Arbeitsmarkt kommen, denn die Inflexibilität dort dämpft das Wirtschaftswachstum. Dadurch besteht weniger Neigung zur Investition in Maschinen und Anlagen, weshalb weniger Euro auf dem Markt nachgefragt wird. So sinkt er.
Wenn Unternehmen ihre Beschäftigten leichter kündigen können, steigt der Wert des Euro?
Wenn es mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt gibt, eine Lohnzurückhaltung, weniger Kündigungsschutz und weniger Arbeitslosenunterstützung, dann würde das bei Anlegern mehr Vertrauen in die Währung wecken und auch mehr wirtschaftliche Dynamik schaffen. Schließlich sollen die Reformen in der Arbeitsmarktpolitik ja nicht in erster Linie dazu dienen, die Anleger bei Laune zu halten, sondern mehr Wirtschaftswachstum zu erreichen.
Wer sich auf den Standpunkt der Beschäftigten stellt, kann sich über den abnehmenden Außenwert des Euro also freuen?
Solche irrenden Stimmen hört man immer wieder. Kurzfristig sinken zwar die Preise für Exporte aus Deutschland, was der Wirtschaft nützt. Aber langfristig bedeutet ein hoher Dollarkurs, daß die Kaufkraft der heimischen Währung im Ausland abnimmt. Das merken USA-Urlauber zuerst. Aber auch Benzin und Heizöl würden auf Dauer teurer, so daß der kurzfristige Gewinn sinkender Exportpreise schnell wieder aufgezehrt würde.
Bewegt sich die Bundesregierung in die Richtung, die Wirtschaftsordnung zu liberalisieren?
Zuwenig. Es gibt zwar einige Anzeichen im Bündnis für Arbeit. Wenn man zum Beispiel die Auflockerung des Flächentarifvertrags vereinbart, erhalten wir auch mehr Dynamik auf dem Arbeitsmarkt. Aber vielleicht gibt ja der weiter sinkende Euro-Wert einigen Leuten zu denken.
Interview: Hannes Koch
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