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Zurück in die Steinzeit

Eine EU-Richtlinie, die Mikroorganismen schützen soll, zwingt Obstbauern, auf harte Insektizide umzustellen  ■   Von Klaus Wittmann

„Ein Schildbürgerstreich?“ – „Eine Posse?“ – „Ein Beamtengag?“ Die deutschen Obstbauern sind verunsichert. Viele von ihnen sehen ihre Existenz gefährdet, seit eine Reihe nützlingsschonender Pflanzenschutzmittel in Deutschland nicht mehr angewandt werden dürfen. Vor etwa zehn Jahren hatten sie begonnen, die alten breitenwirksamen Spritzmittel durch den „integrierten Anbau“ zurückzufahren. Das heißt, sie setzten nur noch Pflanzenschutzmittel ein, die ganz gezielt nur bestimmte Schädlinge bekämpfen. Fortan überlebten Nützlinge, die bis dahin auf der Strecke geblieben waren. Laut einer Studie der Technischen Hochschule Zürich und der Universität Hohenheim wird bei 88 Prozent der Apfel- und Birnenkulturen der integrierte Anbau angewendet. Die erhofften höheren Preise ließen sich freilich dadurch nicht erzielen.

Jetzt droht allerdings ein Rückfall in die Zeiten der einst so kritisierten Breitenspritzmittel. Im „Alten Land“ an der Niederelbe und am Bodensee sowie den anderen Obstregionen herrscht Alarmstimmung. Basierend auf der Europarichtlinie 91/414 wird den Obstbauern fortan die Nutzung bestimmter Pflanzenschutzmittel untersagt. Dabei handelt es sich vor allem um solche Chemikalien, die gerade im integrierten Anbau eine wichtige Rolle spielen.

Begründet wird das Verbot von den Behörden damit, daß die Mittel Wasserorganismen schädigen könnten. Bestimmte Mischungen wie beispielsweise Insegar dürfen nur noch mit teuren Recycling-Sprühgeräten ausgebracht werden. Diese Geräte jedoch sind nach Angaben der Obstbauern und ihrer Berater in den kleineren Plantagen gar nicht handhabbar. Als „völlig wirklichkeitsfremd“ kritisiert Peter Triloff, der Pflanzenschutzberater der Marktgemeinschaft Bodenseeobst, die mehr als 50 Prozent der Obstbauern der Region vertritt, die Tests.

Und Franz Huchler, der Präsident des Landesverbandes Erwerbsobstbau Baden-Württemberg (LVEO) warnt: „Die gesamte integrierte Produktion ist in Gefahr, weil uns diese nützlingsschonenden Mittel einfach genommen werden.“ So seien in den vergangenen Jahren keine Spritzmittel mehr für die Rote Spinne benötigt worden, weil die jetzt verbotenen Pflanzenschutzmittel ihren natürlichen Feind, die Raubmilbe, unbeschadet gelassen habe.

Wenn den Bauern jetzt die bewährten Mittel genommen würden, müßten sie auf herkömmliche und früher übliche Spritzmittel zurückgegreifen. Und dies hätte unweigerlich zur Folge, daß die Raubmilben wieder gefährdet wären. „Wir bringen das Gleichgewicht der Natur wieder in Gefahr, so wie das früher mal war.“ Härtere Mittel wie beispielsweise die alten breitenwirksamen E 605 und Dimethoat könnten nach den neuen Richtlinien – im Gegensatz zu den nützlingsschonenden – problemlos eingesetzt werden. Besonders bitter für die Obstbauern ist es, daß trotz des immensen Konkurrenzdrucks aus anderen europäischen Ländern dort diese strengen Bestimmungen bislang nicht angewandt werden.

Von den deutschen Behörden eine Stellungnahme zu bekommen, ist schier aussichtslos. Das Bundesumweltministerium verweist an die Biologische Bundesanstalt (BBA). Dort wiederum wird auf das „Institut für Pflanzenschutz im Obstbau“ in Dossenheim verwiesen. Der Experte dort will sich allerdings nicht äußern. Er verweist an den Fachmann für „Pflanzenschutzmittel und Anwendungstechniken“ bei einem anderen BBA-Institut in Braunschweig. Doch der besagte Experte hier meint nur, es wäre besser gewesen, die Obstbauern hätten sich vor der Verabschiedung des Gesetzes etwas lautstärker gemeldet. Tatsächlich sei eine gewisse Wettbewerbsverzerrung gegeben. Diese dürfte sich sogar noch verschärfen, nachdem andere EU-Staaten mit der Umsetzung der besagten Richtlinie weit hinterherhinken würden.

Was die Neuregelungen in der Praxis für die Bauern bedeuten, macht der Obstbauer Josef Heine aus Tettnang deutlich. Der 31jährige baut auf einer Fläche von sieben Hektar Obst an. „Entweder gehe ich in illegale Bereiche und behandle weiter wie bisher, oder ich muß mir sonst einen Weg suchen.“ Es gebe zwar andere Mittel, wie zum Beispiel bestimmte Viren, aber die seien viel zu teuer. Zudem seien diese Alternativmittel nur begrenzt einsetzbar. „Wir können nicht mehr teurer produzieren, weil im Moment im Obstbau sowieso nichts verdient ist.“ Für ein Kilo Äpfel der Sorte „Jona Gold“ bekomme der Bauer derzeit gerade mal 60 Pfennig. Davon gehen schon alleine 30 Pfennig an die Genossenschaft für Lagerung, Transport und Verpackung. Rechnet man noch fünf Pfennig für Verderb ab, komme man auf 25 Pfennig Erlös bei derzeitigen Produktionskosten von mindestens 35 Pfennig. „Das ist existenzbedrohend.“

Dem stimmt sogar sein Kollege, der Öko-Obstbauer Martin Bentele zu, der freilich noch gut lachen hat. Für ihn hat sich die Umstellung auf biologischen Anbau gelohnt. Sie beträgt insgesamt jedoch nur zwei Prozent. „Der integrierte Anbau war vor zehn Jahren ein Schritt in die richtige Richtung, aber er ist in meinen Augen nicht konsequent fortgeführt worden.“ Der Grund: „Weil der Handel die Leistungen der Bauern nicht honoriert.“

Er habe vor zehn Jahren umgestellt und sei damals in eine Nische gestoßen, könne bislang relativ gut vom Bioobstanbau leben. Doch auch hier sei bereits eine Tendenz zu niedrigen Preisen erkennbar.

Der Pflanzenschutzexperte Eckhard Lange von der Übergebietlichen Spezialberatung in Überlingen meint, es gebe eigentlich nur zwei Alternativen. „Entweder man geht zurück zu dem, was man vor zehn Jahren gemacht hat, also dem Einsatz breitenwirksamer Insektizide mit allen negativen Folgen, oder man unternimmt den Versuch, auf neue Verfahren umzusteigen, die eine gewisse Aussicht haben, erfolgreich zu sein.“

Lange spricht unter anderem die Pheromonverwirrung an. Mit dieser Methode wurden am Bodensee auf circa 700 bis 800 Hektar Fläche, ebenso auch in Südtirol, bereits gute Erfahrungen gemacht. Dabei werden Duftstoffe des Apfelwicklers an den Obstbäumen ausgebracht.

Diese intensive Ausbringung weiblicher Duftstoffe verwirrt die Männchen so sehr, daß sie fehlgeleitet werden und es nicht zur Paarung kommt. Möglich ist diese Verwirrungsmethode freilich nur auf etwa 50 Prozent der Fläche. Kombiniert werden könnte laut Lange dieses Verfahren mit Mitteln der biologischen Schädlingsbekämpfung, was natürlich wieder eine Kostenfrage wäre.

Die erlaubten Mittel gefährden Nützlinge wie die Raubmilbe, den natürlichen Feind der schädlichen Roten Spinne Ein Experte meint nur, die Obstbauern hätten sich vor der Verabschiedung des Gesetzes lautstärker melden sollen

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