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Dicke Luft bei den Genossen im Revier

In der nordrhein-westfälischen SPD geht die Angst um. Bei den Kommunalwahlen drohen in der roten Hochburg herbe Verluste. Viele dort halten von Schröder genauso wenig wie von Kohl    ■ Von Marcus Meier und Andreas Wyputta

Bochum (taz) – Franz Müntefering gibt sich kämpferisch. „Wir werden die CDU im Revier wieder auf ihre ursprüngliche Bonsai-Größe zusammenschrumpfen lassen“, ruft der nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende. Doch die Parteibasis auf dem Bochumer Husemannplatz mag nicht applaudieren, einige Zuhörer lachen sogar höhnisch. Franz Müntefering, im Zweitberuf Bundesbauminister, ist seit dem Wochenende auf Ochsentour durch die Städte des Reviers. Am 12. September sind Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen – und die Umfrageergebnise sehen nicht gut aus für die SPD. Selbst die roten Hochburgen des Ruhrgebiets drohen zu fallen.

In Dortmund, „der Herzkammer der deutschen Sozialdemokratie“ (Herbert Wehner), würde die SPD einer aktuellen Umfrage zufolge nur noch 42 Prozent der Stimmen erringen. Im Dezember waren es noch über 50 Prozent. Zum ersten Mal werden in diesem Jahr die Oberbürgermeister direkt gewählt – und CDU-Spitzenmann Volker Geers liegt mit derzeit 55 Prozent weit vorn. In der BVB-Stadt sind die Probleme hausgemacht. Der zunächst von der SPD nominierte OB-Kandidat Franz-Josef Drabig hatte sich einen Rotlichtskandal, dann eine Steueraffäre geleistet. Drabig musste seine Kandidatur zurückziehen, um schließlich auch als Vorsitzender der Ratsfraktion abzutreten.

Als Müntefering in Mülheim vorfährt, tönt ein billiges Stimmungslied aus den Lautsprechern: „Olé, wir fahren zum Puff nach Barcelona“. Die Stimming ist lau. Auch beim großen Sommerfest der SPD Dümpten-Nord ist der Parteianhang alles andere als begeistert – „weil Schröder in dasselbe Horn bläst wie Kohl“, wie ein junger Mann kritisiert. Und wegen der „zu marktorientierten Wohnungspolitik“ des Bundesbauministers. Dessen Hände zittern leicht. Gleich drei „Die Sparsamen“-Streichhölzer braucht er, um seinen Zigarillo anzuzünden. „Man muss sich genauer informieren“, doziert Müntefering und erzählt von gestopften Steuerlöchern, erhöhtem Kindergeld und dem Zwang zum Sparen. „Ob euch das gefällt oder nicht, es gibt nichts zu verschenken.“

Bei der Bundestagswahl hatte die SPD im bevölkerungsreichsten Bundesland noch 5 Millionen Wähler mobilisieren können, bei der Europawahl waren es nur noch 2,1 Millionen. Dabei hätte die Sozialdemokratie vor nicht allzu langer Zeit in ihren Hochburgen Bierflaschen aufstellen können, ohne Stimmen zu verlieren. Doch die Zeiten sind vorbei. Es sei keineswegs naturgewollt, dass die SPD im Revier absolute Mehrheiten erziele, sagt der Essener Politikprofessor Wolfgang Horn. „Seit einem Jahrzehnt nimmt die Zahl der Wechselwähler zu“, analysiert er. Die klassischen Parteimilieus lösten sich auf, alle Parteien müssten versuchen, „auch andere Wählerschichten zu erreichen“, so der Politologe. Sein Resümee: „Die Genossen sind zu Recht beunruhigt.“

Mehr als das: Sie sind auch noch zerstritten. In Bochum wollen gleich zwei Sozialdemokraten Oberbürgermeister werden. Neben dem Amtsinhaber Ernst-Otto Stüber stellt sich auch Heinz Jürgen Kaminski dem Votum der Bürger – natürlich ohne Unterstützung seiner Partei. Kaminski wirft Stüber vor, dieser vertusche Korruptionsskandale und regiere selbstherrlich. Auch der in Bochum lebende Juso-Bundesvorsitzende Benjamin Mikfeld beklagt die „Arroganz und Selbstherrlichkeit“ der Ruhr-Sozis. An den Wahlkampfständen wird währenddessen Tacheles geredet. Doch hier wird fast ausschließlich die Bundespolitik thematisiert – zum Teil mit drastischen Worten. „Was in Berlin abgeht, ist kacke, das findet nicht unsere Zustimmung“, schimpft ein älterer Duisburger in Lederjacke. Auch in anderen Städten bekommen die Wahlkämpfer den Zorn der Bürger zu spüren. „Die werfen uns ihre Beschwerden über Rentenreform und Sparpaket an den Kopf, und dann gehen sie sofort weiter“, sagt der Essener Genosse Helmut Kehlbreier.

Der parteiinterne Richtungsstreit, Riesters Rentenpläne und das 30-Milliarden-Sparpaket kommen bei der Wählerschaft im Pott nicht gut an. Für führende SPD-Politiker ist dies allerdings lediglich ein Problem mangelnder Geschlossenheit. Ministerpräsident Wolfgang Clement beklagt das „Stimmengewirr aus Berlin“, während Müntefering betont, dass die Stimmung „auf Bundesebene vor Ort nicht immer hilfreich“ sei. Trotzdem zeigt sich Müntefering siegessicher.

Im Gegensatz zu den Genossen in Hamm. Lokale Parteigrößen haben Argumentationshilfen zu Sparprogramm und Rentenpolitik der Bundesregierung verschickt und die Mitglieder aufgefordert, mit Arbeitskollegen und Bekannten zu diskutieren. Die Basis soll zudem kräftig spenden, denn man sei „darauf angewiesen, alle finanziellen Kräfte für den Sieg zu mobilisieren“. Duisburgs SPD zeigt sich dagegen optimistisch, denn man habe in der Stadt gute Arbeit geleistet. „Wir werden am 12. September 57 Prozent der Stimmen holen“, prognostiziert der Bundestagsabgeordnete Hans Pflug, „trotz berechtigter Kritik an Berlin“. Andere SPD-Mitglieder gehen auf Konfrontationskurs zur Politik Schröders. So hat der Vorsitzende der Duisburger Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, Dieter Renner, einen von den örtlichen Grünen initiierten „Aufruf gegen weiteren Sozialabbau“ unterzeichnet. Tenor: „Die Reichen werden geschont, die wirtschaftlich Schwachen werden zur Kasse gebeten.“

Müntefering ist darauf vorbereitet. In Gladbeck tritt er – noch mehr als sonst – als traditioneller Sozialdemokrat auf. Hier im Norden des Reviers, der immer noch mit dem Strukturwandel, dem Ende von Kohle und Stahl, zu kämpfen hat, redet er über Gerechtigkeit, Kündigungsschutz, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Zuhörer stehen im Regen und schauen skeptisch zu. „Auch die SPD hat ihre Wahlversprechen gebrochen“, meint ein älterer Sozialdemokrat. „Die lügen doch alle!“, sagt er enttäuscht. Und geht.

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