: Enorme Frustrationen
■ Obwohl Vielsprachigkeit an vielen Berliner Schulen längst Alltag ist, gibt es kaum Lehrerfortbildungen für Deutsch als Zweitsprache
Keine neun Monate ist es her, da flatterte allen Berliner Schulen ein Rundschreiben von Senatorin Ingrid Stahmer (SPD) auf den Tisch. Titel: Deutsch als Zweitsprache in der Berliner Schule. Selbige sei, stand da geschrieben, „nicht nur Aufgabe der Lehrkraft, sondern Unterrichtsprinzip aller Fächer“. Und: „Alle Lehrkräfte müssen befähigt werden, Sprachprobleme im Unterricht wahrzunehmen und methodisch-didaktisch darauf reagieren zu können.“
Hilfestellung dabei leisten sollten Lehrerfortbildung und kollegialer Erfahrungsaustausch. Ähnlich anspruchsvoll liest sich eine Empfehlung der Bundeskultusministerkonferenz zur interkulturellen Bildung und Erziehung aus dem Jahre 1996.
Die Praxis aber sieht oft düster aus. Das beginnt nicht erst im Schulalltag. Es fängt schon in der Lehrerausbildung an den Hochschulen an. An allen Berliner Universitäten können Lehrer ihr erstes Staatsexamen machen, ohne jemals etwas von interkultureller Erziehung oder Deutsch als Zweitsprache gehört zu haben.
Erst seit diesem Jahr müssen immerhin Referendare einen entsprechenden Pflichtschein machen. „In der Lehrerausbildung wird viel zu wenig daran gearbeitet, wie man es schafft, in einer Gesellschaft, die aus Menschen mit verschiedenen Hintergründen besteht, einheitliche Normen zu vermitteln, ohne überheblich zu sein“, sagt Sanem Kleff, im Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zuständig für multikulturelle Angelegenheiten. „Das führt auch unter Lehrern, die plötzlich mit der Situation konfrontiert werden, in einer Klasse zu unterrichten, in der jeder Zweite ein Migrant ist, zu enormen Frustrationen.“ Auch die
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Hamburger Professorin für Schulpädagogik, Ingrid Gogolin, verweist in Expertenkreisen seit Jahren darauf, dass sich bisher nicht einmal Deutschlehrer mit dem Thema Deutsch als Zweitsprache beschäftigen müssen. „Angesichts der Realität in deutschen Großstädten ist das ein Riesendilemma.“ Zur Verbesserung der Lage setzt Gogolin nicht auf bilingualen Unterricht, sondern – angepasst an die Bevölkerungsstruktur des jeweiligen Stadtteils – auf flexible Konzepte zur Mehrsprachigkeitserziehung.
Dazu gehöre vor allem, die Mehrsprachigkeit einer gemischten Schülerschaft zu akzeptieren und die Lehrmethoden darauf einzustellen. „Den Deutschunterricht, wie er heute praktiziert wird, können Sie im Prinzip abschaffen. Dort wird vor allem mit Hilfestellungen und Lernbrücken gearbeitet, die an das instinktiv mitgebrachte deutsche Sprachgefühl appellieren – das hat aber nur ein deutsches Kind.“ Gogolin fordert eine „Vermehrsprachlichung der Curricula“, für die eine entsprechende Lehrerausbildung unabdingbar sei: „Sprachvergleichende Übungen gehören ebenso dazu wie ein Unterricht, der stärker auf die mitgebrachte Sprachkompetenz der Kinder setzt. Im Prinzip ist es doch positiv, dass so viele Kinder schon eine zweite Sprache mitbringen.“
In der Praxis bleibt den Lehrerinnen und Lehrern, die plötzlich in Kreuzberg oder Neukölln vor einer Klasse stehen, in der Regel nur der Blick in das Programm des Berliner Instituts für Lehrerfortbildung (BIL) aus eigener Initiative: Dort finden sich auf ganzen dreizehn Seiten eines 230 Seiten starken Programms Angebote für Lehrer von Migrantenkindern. Darunter sind diverse, in der Regel ein- bis dreitägige Kurse zum Thema Deutsch als Zweitsprache, aber auch interkulturelle und landeskundliche Angebote: „Islam und Muslime im Unterricht der Berliner Schule“ oder „Was geht uns der Balkan an?“.
Dass das BIL nicht mehr anbietet, kann man kaum dem Institut vorwerfen: Für Fortbildung von Lehrern im Migrantenbereich stehen im Grund- undOberschulbereich jeweils zwei volle Stellen zur Verfügung.
Damit sollen nicht nur die Kurse abgedeckt werden, sondern auch die acht in diesem Jahr eingerichteten „Regionalen Fachkonferenzen Deutsch als Zweitsprache“, deren Einrichtung allgemein als Erfolg betrachtet wird.
Zweimal pro Jahr kommen seither Abgeordnete der Schulen, die mehr als 25 Prozent (West) oder acht Prozent (Ost) Kinder nicht deutscher Herkunft unterrichten, unter Leitung des BIL zur Diskussion und auf der Suche nach Konzepten zusammen.
Doch auch in den Schulen läuft vieles nicht nach Plan: „Wenn Förderstunden nicht angemessen durchgeführt werden, ist das Unrechtsbewusstsein oft nicht sehr groß“, konstatiert Michael Nove, einer der BIL-Fortbilder. Die Förderstunden für Kinder mit mangelhaften Deutschkenntnissen seien ohnehin knapp bemessen – oft genug würden die Stunden dann auch noch zur Klassenverkleinerung verwendet oder als Vertretungsstunden umfunktioniert.
Immer wieder ist zu hören, dass der unliebsame Förderunterricht, für den ohnehin niemand so recht ausgebildet ist, ausgerechnet auf die jungen, unerfahrenen Kollegen abgewälzt wird. Dabei gehört dieser Unterricht zu den schwierigsten Aufgaben überhaupt, ist von herkömmlichem Sprachunterricht meilenweit entfernt: „Wir fragen uns alle immer noch, wie um Himmels willen man umgangssprachliches Deutsch verbessert“, sagt eine Lehrerin.
Auch nach den Innenstadtkonferenzen des vergangenen Jahres, die den Bedarf an Sprachunterricht auf verschiedenen Ebenen mehr als deutlich machten, kommt Veränderung in Berlin nur langsam in Gang. Darunter zu leiden haben allerdings nicht zuerst die Lehrer. Auch nicht die deutschen Schüler. Etwa jeder dritte ausländische Schulabgänger verlässt die Berliner Schule ohne Schulabschluss; unter Deutschen ist es jeder zehnte. Jeannette Goddar
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