: Geburtstagsgruß von rechts
Heiter und gelöst wollte die Stadt Weimar den Goethe-Geburtstag diese Woche begehen. Für drei Schriftsteller endet ein Abend am Frauenplan mit einer brutalen Attacke ■ Von Lukas Wallraff
Berlin (taz) – Was machen passionierte Literaten am Abend nach einer Lesung? Sie gehen in die nächste Kneipe, trinken ein paar Gläser und sprechen über Literatur. Scheinbar nichts Besonderes, was sich der Berliner Schriftsteller Bert Papenfuß am vergangenen Sonntag vorgenommen hatte. Doch der Abend verlief alles andere als normal.
Zusammen mit zwei Kollegen saß er in einem ganz besonderen Lokal, dem „Goethebrunnen“ am Weimarer Frauenplan. Die drei Kollegen tranken ihr Bier nicht irgendwann, sondern am Geburtstagswochenende des Dichterfürsten. Sie unterhielten sich jedoch nicht über die Werke des 250-jährigen Altmeisters, sondern über den New Yorker Kultautor Hakim Bey. Papenfuß kannte ihn besser als die anderen und beschrieb ihn als interessanten „Juden, Anarchisten und Schwulen“. Diese Worte hat einer der Zuhörer am Tisch in Erinnerung, und diese Worte könnte ein weiterer Gast des Goethebrunnens aufgeschnappt haben.
Der Gast, ein bulliger Typ mit strengem Seitenscheitel, war kurz vor Mitternacht in die Kneipe gekommen, stand eine Zeit lang am Tresen herum und könnte das Gespräch der Literaten gehört haben. Auf jeden Fall kam er nach einer Weile an den Tisch der Literaten, beschimpfte sie als „Judenhunde“ und „Gesocks“ und verließ anschließend schnell das Lokal.
Die drei wussten zunächst nicht, wie sie reagieren sollten. Als sie vor der Tür nachsahen, war der ungebetene Gesprächspartner verschwunden. Die nicht übertrieben empfindlichen Literaten kehrten in die Kneipe zurück, tranken noch ein Bier und erholten sich allmählich von der krassen Verbalinjurie. Was sie nicht wussten: Der Mann mit dem Seitenscheitel sollte wiederkommen. Und zwar mit Verstärkung.
Als die drei Freunde gegen ein Uhr den Goethebrunnen verließen, erkannte Papenfuß den Rechtsradikalen sofort: „Das ist er“, sagte er zu seinen Begleitern. Der bullige Typ hatte ein halbes Dutzend Kumpels mitgebracht und offensichtlich vor dem Lokal auf das Literatentrio gewartet. Was dann geschah, schildert Bert Papenfuß so: „Einer der Männer kam auf mich zu und schubste mich so ein wenig. Kurz darauf kam der Anführer der Gruppe her und fragt mich, warum ich seinen Kameraden angerempelt hätte.“
Die sieben Gestalten fackelten nicht lange. Ohne jede Vorwarnung schlugen sie Papenfuß ins Gesicht und stießen ihn zu Boden. Der 43-Jährige stürzte auf den Gehsteig: „Ich habe mich absolut defensiv verhalten und nur versucht, den Stiefeln und Fäusten auszuweichen.“ Mit wenig Erfolg, denn die Angreifer traten weiter auf ihn und fügten ihm eine offene Platzwunde am Auge zu, die später genäht werden musste.
Seine Begleiter blieben nicht ganz so defensiv und setzten sich zur Wehr. Papenfuß' Schriftstellerkollege Frank Willmann glaubt sogar, einem Kontrahenten das Nasenbein gebrochen zu haben. Ihm selbst wurde eine Rippe gebrochen. Willmann ist sich sicher, dass die Angreifer Rechtsradikale waren: „Alle waren kahl rasiert oder hatten zumindest sehr kurze Haare. Sie trugen schwarze Klamotten und wirkten auf mich wie NPD-Kader.“ Als Schläger hat er sie aber nicht wahrgenommen: „Sie wirkten nicht wie tumbe Tore, eher wie Studenten, die sich amüsieren wollten.“
Der Dritte der Literaten, Guillaume Paoli, hatte es mit einem eher schwächlichen Gegner zu tun und kam mit leichten Verletzungen davon. Vielleicht auch, weil er so schlau war, den Mund zu halten: „Ich bin Franzose und dachte sofort, wenn ich etwas sage, hören sie meinen Akzent und gehen vielleicht erst recht auf mich los.“
Nach wenigen Minuten war der Spuk vorbei, die mutmaßlichen Neonazis ließen von ihren Opfern ab und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Kurz darauf traf die Polizei ein, die vom Goethebrunnen alarmiert worden war. Die Beamten nahmen zunächst die Personalien der Verletzten auf. Hier setzt der Vorwurf der Literaten ein: „Anstatt die Täter zu verfolgen – sie waren ja noch nicht weit weg –, haben sie erst einmal gar nichts unternommen“, beklagt sich Paoli.
Im Polizeibericht heißt es dazu: „Vor Ort eingetroffen informierten sich die Beamten über die Umstände der Tat.“ Außerdem sei „kurz nach Bekanntwerden des Vorfalls“ eine Nahbereichsfahndung eingeleitet worden. Weimars Polizeichef Ralf Kirsten ist zuversichtlich, die Täter schon bald dingfest zu machen. Der Sprecher der zuständigen Polizeidirektion Jena, Heise, wollte „zu den Details nicht Stellung nehmen“, glaubt aber, dass die Beamten vor Ort richtig gehandelt hätten.
Guillaume Paoli hat es anders erlebt: „Wir waren ziemlich sauer.“ Unentschlossen seien die Polizisten gewesen. Für sich will er Konsequenzen ziehen: „So lange nichts gegen diese Vorfälle getan wird, werde ich in Weimar wahrscheinlich nicht mehr auftreten.“
In der Europäischen Kulturstadt 1999 wirft der der brutale Überfall einen Schatten auf das ansonsten so „heitere und leichte Fest“, das sich Kulturstadt-Chef Bernd Kauffmann zu Goethes Geburtstag wünschte.
Noch am Sonntag hatte der Evangelische Presse-Dienst bilanziert: „Die Geburtstagsfeiern in Weimar dürften wohl als die heiterste Ehrung für den Dichter in die jüngere Literaturgeschichte eingehen.“ Bert Papenfuß, Guillaume Paoli und Frank Willmann werden sie anders in Erinnerung bleiben.
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