: Wo die Umwelt leidet, profitiert der Umweltschützer
■ So schlecht geht es Thüringens Grünen gar nicht: Gegen Müllverbrennungsanlagen organisieren sie erfolgreich Widerstand. Doch der bricht auch schnell wieder zusammen
Nein, hieß es gestern im Thüringer Umweltministerium, der Herr Minister ist leider außer Haus. Der Staatssekretär? Bedaure, dringende Termine. Den bündnisgrünen Wahlkämpfern blieb nur ein Abteilungsleiter. Dem übergab die grüne Spitzenkandidatin Anne Voß 1.000 Postkarten des Wahlvolkes: „Müllverbrennung, nein danke“, lautete der Protest der Absender. Notiz von der Aktion nahm kaum jemand.
Endrunde im Thüringer Landtagswahlkampf. Vor fünf Jahren waren die Grünen mit 4,5 Prozent knapp gescheitert. Die Basis ist mit 570 Mitgliedern dünn, die Umfragen mit 3 Prozent nicht gerade rosig. Anne Voß, die aus der Friedens- und Umweltbewegung der DDR kommt und dann vier Jahre SPD-Mitglied war, verteilt auf der Straße die vielleicht dreitausendste Sonnenblume und versucht sich in Optimismus. Gemeinsam mit Olaf Möller, ihrem Partner im Spitzenduo, wirbt die 43-Jährige vor allem für eine umweltverträgliche Verkehrspolitik. Rund 20.000 zusätzliche Arbeitsplätze wollen die Grünen im Umweltbereich schaffen. Und eben eine bessere Abfallpolitik durchsetzen.
Mindestens vier Müllverbrennungsanlagen sind in Thüringen geplant. Eine sollte in Erfurt gebaut werden. „Uns ist gelungen, das Ding zu stoppen“, sagt Voß. Ende 1997 starteten die Grünen ein Bürgerbegehren in der Landeshauptstadt. Als das notwendige Quorum – 20 Prozent aller Wahlberechtigten hatten unterschrieben – erreicht war, schloss sich auch der Stadtrat an. Einstimmig, wie Voß sagt. „Ein doller Erfolg!“
Dumm ist nur, dass diesen Erfolg kaum jemand mit den Grünen verbindet. „In der Wahrnehmung der Erfurter waren Bürgerinitiativen die Initiatoren“, sagt Burkhard Vogel. Der Landesgeschäftsführer des BUND macht ein bündnisgrünes Darstellungsproblem aus, auf Bundes- wie auf Landesebene. Allerdings sei es im Osten auch strukturell schwer, grüne Politik zu vermitteln. „Die Menschen haben große Angst, dass Umweltschutz wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt“, so Vogel.
Speziell der CDU gelingt es hier Ängste zu schüren. Zwar gehen die Grünen dagegen vor, „teilweise sogar recht geschickt“, wie Vogel findet. Aber in einem Land, in dem der ICE immer noch Synonym für Hochtechnologie, Wirtschaftsboom und Wohlstand ist, lässt sich dem Argument „Ökologie behindert Ökonomie“ nur schwer rational beikommen.
„Ökologisches Bewusstsein ist stark mit der eigenen Betroffenheit verbunden“, sagt Wolfgang List, Geschäftsführer der Grünen Liga in Suhl. Überall dort, wo die Projektanten Mitte der 90-er Jahre Autobahntrassen planten, war die Zustimmung zu Grün überdurchschnittlich hoch. „Gaben die Projektanten dem Druck nach und verlegten die Trasse, sank sie sofort wieder.“ Bei der vor den Toren Suhls geplanten Müllverbrennungsanlage sei das ganz ähnlich, sagt List, der Anfang des Jahres bei den Grünen austrat – „wegen der generellen Linie“. Auch wenn Anne Voß tapfer in der Suhler Innenstadt Sonnenblumen und Protestpostkarten verteilt: Der Erfolg dürfte nur gering sein. Schließlich soll die Anlage nun in Zella-Mehlis gebaut werden. Und das ist von Suhl immerhin sieben Kilometer weit weg.
Nick Reimer, Dresden
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